Bürgerinitiative gegen rechts: Vom Punk bis zum Pastor: Sie protestieren seit drei Jahren

Bei schönem Wetter könnte man die Mahnwachen fast für eine Party halten. Doch die Aktiven der Bürgerinitiative gegen Rechts meinen es ernst: Sie treffen sich auch bei strömendem Regen und strengen Minustemperaturen jeden Werktag zwischen 17 und 19 Uhr am Glinder Berg. Seit drei Jahren protestieren sie unermüdlich gegen den Laden, der die bei den Rechten beliebte Marke Thor Steinar verkauft. Für den morgigen Sonnabend ruft die preisgekrönte BI ab 12.30 Uhr zur Demonstration auf. Treffpunkt ist am Markt, dann geht's zur Kundgebung vor dem Laden, die für 13 Uhr angesetzt ist.

Was sind das für Menschen, die nicht aufgeben wollen, bis das Geschäft aus Glinde weicht? Unsere Redakteurin Susanne Tamm hat mit fünf von ihnen gesprochen: Hans-Jürgen Preuß (75), Pastor im Ruhestand, Frauke Berger (58), Hausfrau, Rolf Metschulat (58), Inhaber eines Heimtierbedarfs, Sandra Seidel (35), Minijobberin und Leana Pfarr (20), die einen Ausbildungsplatz sucht.

Susanne Tamm:

Seit wann sind Sie bei dem Protest dabei? Und wie sind Sie dazu gekommen?

Leana Pfarr:

Ich habe über Facebook und Glinder Freunde von dem Laden erfahren und war schon bei der ersten Demo dabei. Die anderen Gleichaltrigen haben sich später zerstritten, aber mir geht's darum, dass wir in Glinde kein Nazi-Netz haben wollen. Und ich will keine Angst haben, wenn ich nachts nach Hause gehe. In Halle oder Hamburg ist es mir schon passiert, dass ich wegen meines anderen Aussehens angepöbelt wurde.

Hans-Jürgen Preuß:

Ich muss gestehen, dass ich vorher von Thor Steinar oder Thønsberg nichts gewusst habe. Dabei habe ich als Kind noch die Ausläufer des Zweiten Weltkriegs miterlebt: die Flucht, die Bombenangriffe, vor allem aber das zerstörte Hamburg. Ich habe dann sehr viel gelesen über den Nationalsozialismus, den Holocaust und habe mich klar gegen rechte Gesinnungen positioniert. Deshalb bin ich von Anfang an dabei. Gut finde ich nicht nur die Mahnwache, sondern auch unsere Aktionen, wie die Lesenacht oder die Geschichtswerkstatt.

Frauke Berger:

Mein Sohn hat mir von dem Laden erzählt, da musste ich natürlich hin. Denn zufällig war ich in Hamburg, als der dortige Laden gestürmt wurde. Dabei habe ich erst durch die Schulzeit meiner Kinder vom Nationalsozialismus erfahren. Meine Eltern haben geschwiegen und meine Lehrer waren vermutlich auch Nazis, jedenfalls war das in unserer Schule kein Thema. Als ich das gehört habe, habe ich nur gedacht: "Bitte nie, nie wieder!" Deshalb stehe ich jetzt vor dem Laden.

Rolf Metschulat:

Ein Bekannter fragte mich: "Kommst Du mit?" Ich hatte keine Ahnung von den Klamotten, hätte meine Frau mir ein Sweatshirt mit einem alten Motorrad gekauft, hätte ich es vermutlich getragen. Heute weiß ich, das ist ein Wehrmachts-Motorrad. Aber da oben auf dem Berg bekam ich echt Gänsehaut - das war doch alles schon so weit weg. Und jetzt läuft das hier in meinem Glinde!

Sandra Seidel:

Ich habe das anfangs gar nicht mitbekommen. Erst als immer mehr Polizei dort auftauchte, etwa ein Jahr später habe ich nachgefragt und bin sofort zum Protest dazugestoßen. Denn die Erzählungen meiner Uroma haben mir gereicht. Ich weiß, wie es ist, Opfer zu sein: Ich wurde schon gemobbt und man hat versucht, mir einen Diebstahl unterzuschieben. Ich will nicht, dass jemand etwas Schlimmeres erlebt.

Gibt es in Glinde denn eine rechte Szene, gegen die man aufstehen muss?

Preuß:

Vermutlich gibt es keine wirklich rechte Szene, aber Spuren rechter Gesinnung. Schmierereien. Nach drei Jahren wird deutlich, dass es sich lohnt, dagegen anzugehen. Denn latent gibt es einen gewissen Prozentsatz, das merke ich in Gesprächen: Das beginnt bei Klischees, es sei doch nicht alles schlecht gewesen während des Nationalsozialismus, bis zu Äußerungen in diesem Kontext, heute müsse man sich auf der Straße unsicher fühlen.

Metschulat:

Wichtig ist, dass wir unser Gesicht zeigen. Wenn man das nicht beobachtet, wird so eine rechte Strömung zu einem schleichenden Geschwür. Im Osten gibt es ganze Dörfer, wo sich die Rechten festgesetzt haben wie Zecken. Das will ich in Glinde nicht haben. Es gibt ja nicht nur Hakenkreuze an Stromkästen, Unbekannte haben auch schon die Scheiben meines Geschäftes eingeschlagen. Die Kunden von Thønsberg kommen meist aus anderen Regionen, sie finden die Adresse im Internet. Das verraten die Autokennzeichen.

Kritiker sagen, dass der Laden durch Ihren Protest viel zu viel Aufmerksamkeit bekommt. Wie sehen Sie das?

Pfarr:

In Halle gibt es einen Thor-Steinar-Laden, der überhaupt keine Aufmerksamkeit erregt, im Gegenteil: Davor ist ein Treffpunkt für Nazis entstanden. Ich traue mich dort nicht mehr allein in diese Straße. Natürlich geben wir dem Laden Aufmerksamkeit, aber im positiven Sinn: vor allem den Menschen, die gegen ihn sind. Die Kunden finden den Laden sowieso im Internet.

Preuß:

Wichtig ist, wir wollen zwar aufmerksam machen, aber von uns geht keine Werbung aus. Ich habe keinen kennengelernt der unseretwegen dort eingekauft hätte. Von den Glindern werden wir aber wahrgenommen. Sie kommen an unseren Infostand und fragen: "Wo war denn euer Zelt?"

Metschulat:

Ja, nach meiner eingeschlagenen Scheibe gab es sehr viel Solidarität unter den Glindern. Das war wie ein Ruck: Die Leute haben zum ersten Mal bemerkt, welche Brutalität dahintersteckt.

Welche Erfahrungen haben Sie denn vor dem Laden mit den Käufern gemacht?

Preuß:

Zum Glück gab es noch nie wirklich gewalttätige Übergriffe. Das finde ich toll.

Seidel:

Aber es gab schon brenzlige Situationen.

Berger:

Wir sind schon mit Flaschen und Dosen aus dem Auto beworfen worden. Andere gehen erst in den Imbiss und wenn wir woanders hingucken, schleichen sie sich schnell in den Laden.

Preuß:

Ja, das stimmt. Einige tun ganz harmlos, als wüssten sie nicht, worum es geht. Andere wollen uns provozieren oder sie versuchen, uns zu überzeugen, wie toll es ist, ein Germane zu sein. Es hat auch schon Anzeigen gegeben wegen eines Hitlergrußes.

Seidel:

Wir funktionieren wie ein Bewegungsmelder. Sobald Kunden die Klinke berühren, tröten wir los. Zwei Teenagern haben wir einmal richtig Angst gemacht. Die haben wir aufgeklärt, und sie haben dort nicht mehr gekauft.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft am Glinder Berg?

Metschulat:

Ganz klar, der Laden soll weg. Und die Glinder sollen das ernst nehmen.

Preuß:

Es wäre schön, wenn sich besonders unter den Glindern mehr Unterstützer finden. Gelegenheit für Solidarität gibt es auch morgen auf der Demo.

Vielen Dank für das Gespräch.