Soziale Schieflage: Glinde will gegensteuern und alle Kitas zu Familienzentren machen

Es sind alarmierende Entwicklungen, auf die das "Sozialpädagogische Netzwerk Glinde" im aktuellen Bericht zur sozialen Lage der Stadt hinweist. Auch wenn dieser keine harten Daten und Fakten, sondern vielmehr eine Sammlung von Eindrücken aus der konkreten Arbeit von Schulen, Kindertagesstätten, Jugendzentren, Kirchen, Beratungsstellen und Polizei enthält. Sie alle tauschen sich in regelmäßigen Abständen aus.

Danach hat nicht nur der Förderbedarf bei Kindern wegen sprachlicher oder psychischer Auffälligkeiten seit 2010 zugenommen. "Wir haben es zunehmend mit Menschen zwischen 17 und 40 Jahren zu tun, die unfähig sind, ihr Leben selbst zu meistern", sagt Silke Löbbers, die als Leiterin des Gemeinschaftszentrums der Sönke-Nissen-Park-Stiftung das sozialpädagogische Netzwerk und den Infotreff koordiniert. "Das fängt bei ganz kleinen Dingen an, wie irgendwo anzurufen oder die Post aufzumachen und danach etwas zu tun", sagt sie. Auch der Bedarf an Erziehungs- und Familienberatung und die Zahl psychisch kranker Eltern sei gestiegen. Die Folge: Schon Grundschulkinder hätten Probleme, sich einzufügen. Während die tätliche Jugendkriminalität abgenommen hat, nehmen die virtuellen Konflikte bei den Zehn- bis 15-jährigen zu. Zwar komme die Mehrheit der Jungerwachsenen immer noch gut im Leben zurecht. Diejenigen, die aber Hilfe von außen benötigten, haben unter massiven Problemen zu leiden: Straftaten, Drogenkonsum, Wohnungslosigkeit oder fehlende Ausbildung. "Für die längerfristige und vor allem intensive und individuelle Unterstützung dieser Altersgruppe gibt es in Glinde kein Angebot", sagt Löbbers. Außerdem bereiten die leicht angestiegene Kinderarmut - rund ein Drittel der Kinder leidet darunter - und die zunehmende Altersarmut den Fachleuten Sorge. Die Beratung von Senioren sei nicht nur besonders herausfordernd, die Angebote müssten auch besser zugänglich gemacht werden.

"Wir müssen die 'Komm-Struktur' im Allgemeinen überdenken, für aufsuchende Hilfen fehlt es aber an Zeit", sagt Löbbers und hofft auf mehr ehrenamtliche Begleiter für Menschen in Problemsituationen, wie "Ämterlotsen", Sprach- oder Familienpaten. Die Zunahme der Flüchtlinge werde die Lage zusätzlich verschärfen. Denn Sprach- und Integrationskurse würden schon jetzt verstärkt nachgefragt. VHS, Migrationssozialberatung und Sönke-Nissen-Park-Stiftung planen gerade gemeinsam einen Deutschkursus für Flüchtlinge.

Die Politiker im jüngsten Sozialausschuss reagierten betroffen. "Ich habe mir bei jedem Absatz Ausrufezeichen gemacht", sagt der Vorsitzende Frank Lauterbach (SPD). Die Fraktionen sollen nun darüber beraten, wo die Stadt künftig Schwerpunkte setzen kann. Glinde hat bereits die Projekte "Anschwung für frühe Chancen" und "Bildungslandschaften" gestartet und will alle elf Kitas der Stadt zu Familienzentren mit Unterstützungsangeboten machen. Federführend für alle Träger hat die Awo im Sommer deshalb Fördermittel für eine Koordinierungsstelle beantragt. Stadtjugendpflegerin Angelika Thomsen hofft auf Zuschüsse vom Kreis. Denn das Land stellt 1,3 Millionen Euro für den Aufbau und Betrieb von bis zu 100 Familienzentren bereit. Zudem soll eine Sammlung von Daten und Fakten, ein Sozialatlas der Stadt, im Frühjahr 2015 fertig sein und eine Steuerung der Angebote ermöglichen.