Hypo-Hund alarmiert Christine Witte, wenn sie unterzuckert ist

Higgins ist ein vierbeiniger Lebensretter und deshalb darf er überall mit hin, wo auch sein Frauchen Christine Witte ist: ins Rathaus, in den Supermarkt, in den Kindergarten, an ihren Arbeitsplatz in der Regionalschule Wentorf und sogar zu ihr ins Bett. Denn der einjährige Pudel ist ein Hypo-Hund: Seine Besitzerin ist Diabetikerin, und ist sie unterzuckert, erkennt er die hormonelle Veränderung sofort am Geruch.

Das passiert mehrmals am Tag und auch während der Nacht. "Higgi hat mich schon oft gerettet", erzählt die 43-jährige Lehrerin und Mutter von drei Kindern. "So wie neulich, als ich konzentriert am Schreibtisch noch schnell Arbeiten korrigiert habe. Higgi hatte mich schon mehrmals angestupst, aber ich hatte ihn immer nur weggeschoben. Plötzlich merkte ich, wie spät es mittlerweile war und wollte noch schnell die Kinder abholen." Aber das machte ihr Assistenzhund nicht mit: Higgins stupste sie mit Nachdruck an und ließ ihr keine Ruhe - bis sie sich endlich Insulin spritzte. "Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn ich mich in der Hektik ins Auto gesetzt hätte und womöglich noch mit den Kindern im Wagen hinterm Steuer umgekippt wäre."

Dass sie das Bewusstsein verliert, verhindert nur Higgins. Denn Christine Witte ist nicht nur seit 30 Jahren Diabetikerin, sie kann durch eine zusätzliche Stoffwechselerkrankung ihre eigene Unterzuckerung nicht mehr wahrnehmen. "Wenn ich Higgi nicht hätte, könnte ich nicht mehr arbeiten", stellt sie fest.

Mehrmals am Tag, auch ohne, dass sie ihn dazu auffordert, kommt der Pudel zu ihr und "scannt" sie: Er schnuppert an ihr, prüft, ob sie über die Haut einen bestimmten Stoff ausscheidet. Ist das der Fall, stupst er sie so lange mit seiner Nase an, bis sie Medikamente nimmt. Reagiert sie nicht rechtzeitig, apportiert er eine Tasche mit Traubenzucker, reagiert sie gar nicht, holt er andere Menschen herbei. "Higgi ist meine Lebensversicherung", sagt Witte. Belohnt wird er jedes Mal mit einem Stück Fleischwurst.

Die 43-Jährige ist sein Mensch, er ist von ihr und ihrem Geruch geprägt. Schon als vierwöchiger Welpe schnüffelte er zum ersten Mal an einem T-Shirt, das sie bei Unterzuckerung getragen hatte. Das war ein Test: Higgins hatte in seinem Wurf am stärksten auf den Geruch reagiert. Damit war für die Züchterin klar, dass er für Christine Witte der geeignete Assistenzhund ist. Die war von der Idee, einen Pudel zu kaufen, zuerst nicht begeistert. "Um Himmels Willen, so ein Uschi-Hund", dachte sie damals. Doch die Ausbilderin Dr. Anna Sophie Müller riet zu der Rasse, weil die Hunde schlau seien, und dem Menschen gefallen wollten. Also fuhr die Oststeinbekerin zur Züchterin, sah "Higgi" und es war um sie geschehen. "Dass er es tatsächlich wurde, war aber Zufall, ich konnte ihn mir nicht aussuchen", sagt sie.

Die Ausbildung läuft über zehn Wochenenden im Verlauf eines Jahres. Voraussetzung dafür ist der Hundeführerschein. Witte schwört wegen der stärkeren Bindung zwischen Hund und Patient auf die Selbstausbildung. "Es gibt viele schwarze Schafe auf dem Markt", warnt sie und rät zur Seite www.hypo-hund.eu im Internet. Der Verein setzt sich dafür ein, dass Diabetiker ihre Assistenzhunde überall mitnehmen dürfen. "Mein Hund gilt als medizinisches Hilfsmittel", erklärt Witte. "Einem Rollstuhlfahrer sagt man doch auch nicht, Sie sind willkommen, aber Ihr Rollstuhl muss draußen bleiben."