Lesenacht erinnert an verfemte Autoren

. Fühlt man sich im Kapitalismus frei? Und verhindert der Kommunismus die Freiheit des Individuums? Welche Rolle spielt das Volk? Gehören zum Volk auch seine Machthaber? Ernste Fragen, über die der Physiker Ziffel und der Arbeiter Kalle in ihrem Exil sinnieren. Bertolt Brecht hatte die beiden Anfang der 1940er-Jahre zu Protagonisten seiner "Flüchtlingsgespräche" gemacht. Und so mancher der rund 60 Gäste der zweiten Glinder Lesenacht am Sonnabend im Bürgerhaus wunderte sich über die Aktualität dieser Fragen.

Wohl nicht von ungefähr lasen Schauspieler Rolf Becker und sein Kollege Michael Weber ausgerechnet aus den von Brecht verfassten Dialogen vor. Im Vordergrund der Veranstaltung der Bürgerinitiative gegen Rechts stand das Gedenken: Am 10. Mai jährte sich die Bücherverbrennung durch die Nazis zum 81. Mal. Werke unzähliger Autoren wurden 1933 wegen "undeutscher Gesinnung" den Flammen übergeben, darunter Bücher von Brecht und sogar auch Schriften eher unpolitischer Künstler wie Joachim Ringelnatz und Erich Kästner.

Mit der Lesenacht wollte die Bürgerinitiative an das dunkle Kapitel in der deutschen Geschichte erinnern. Darüber hinaus aber mahnte sie, dass rechte Gesinnung keineswegs ein historisches Phänomen sei: Der umstrittene Glinder Klamottenladen gilt als Treffpunkt für Neo-Nazis. "Nach mehr als 700 Mahnwachen weisen wir beharrlich darauf hin, dass die hier gekaufte Kleidung als Identifikationsmerkmal für demokratieverachtende und gewaltbereite Gruppen der rechten Szene gilt", erklärte Hans-Jürgen Preuß zu Anfang der Veranstaltung. Preuß erläuterte dann detailliert, was sich am 10. Mai 1933 unter Federführung der Deutschen Studentenschaft abgespielt hatte: "70 000 Menschen sahen zu. Die Bücherverbrennungen wurden in der Wochenschau und im Deutschland-Sender übertragen."

Anschließend gab Autor und Musiker Achim Amme Texte und Lieder von dem einst verfemten Autor Ringelnatz zum Besten. Es folgten kurzweilige Gedichte von Erich Kästner. So kam bei dieser zweiten gelungenen Lesenacht trotz des ernsten Themas heitere Stimmung im Publikum auf.