Leana Pfarr begegnet täglich Vorurteilen - Trotz ihrer Hingabe für Kirche, Feuerwehr und Bürgerinitiative

Gefährlich wirkt die Sicherheitsnadel in ihrem linken Ohrloch. Ihre Haare sind an den Seiten kurz geschoren und knallgrün gefärbt. Die Nieten ihrer Lederjacke passen farblich zur Eisenkette, die schwer an ihrer Jeans baumelt. Die bunten Schnürsenkel der Springerstiefel hat sie nicht zugebunden. Lässig sitzt Leana Pfarr auf dem Stuhl, legt einen Arm über die Rückenlehne und schaut nachdenklich aus dem Fenster eines Cafés am Glinder Berg. Beleidigungen wie "Punkersau" und "Sozialschmarotzer" muss die 20-Jährige nicht selten wegen ihres Äußeren über sich ergehen lassen. Dass sie genau das Gegenteil dessen ist, erkennt man erst beim zweiten Blick - wenn man die Vorurteile ihr gegenüber ablegt. Denn für ihr vielfältiges Engagement zeichnete die Stadt Leana Pfarr am 25. März mit dem Ehrenamtspreis aus.

Ein Jahr zuvor, ebenfalls im März: Gerade ist Leana Pfarr mit ihrem großen Bruder David am Glinder Berg unterwegs. Nur ungern redet sie über diesen Tag. "Es war schon dunkel. Eine Frau wollte die Straße auf Höhe der Tankstelle überqueren und wurde plötzlich von einem Auto erfasst. David und ich sind sofort hingelaufen, haben Anweisungen gegeben und erste Hilfe geleistet", sagt sie knapp und will es dabei belassen. Die Frau verstarb.

Dass sie unter anderem für ihren Einsatz am Unfallort geehrt wurde, kann Leana Pfarr nicht verstehen. "Diese Hilfsbereitschaft sollte selbstverständlich sein", sagt sie. Viel lieber spreche sie ohnehin von ihrer Arbeit in der Kirchengemeinde.

Sie richtet sich auf und beginnt mit leuchtenden Augen und Elan in der Stimme zu erzählen. "Nachdem ich konfirmiert wurde, bin ich Konfi-Betreuerin geworden", sagt sie. Da war sie gerade 15 Jahre alt. "Ich bin mit auf die Fahrten gekommen, habe jahrelang im kirchlichen Jugendkeller ausgeholfen und einfach gern Zeit in der Gemeinde verbracht." Auch am Abend des Unfalls sei sie mit Jugendlichen und Pastor Sören Neumann-Hohlbeck unterwegs gewesen.

Die vorbildliche Erste-Hilfe-Leistung bei dem tragischen Unfall basierte auf Routine. Denn neben ihrem Engagement in der Kirche ist Pfarr seit acht Jahren in der Jugendfeuerwehr im Einsatz, hat auch dort nach einiger Zeit die Gruppenleitung übernommen und Ausflüge organisiert.

Ein weiteres Thema, dass ihr am Herzen liegt: Seit über zwei Jahren steht Leana Pfarr regelmäßig vor dem umstrittenen Thor-Steinar-Laden am Glinder Berg zur Mahnwache. Auch heute - obwohl sich nur ein weiterer Mitstreiter eingefunden hat. "Es geht darum immer Präsenz zu zeigen und den Widerstand gegen diese Szene aufrecht zu erhalten", erklärt Leana Pfarr und zündet sich eine Zigarette an.

All die Jahre, die sie sich für die Jugendarbeit in Glinde eingesetzt hat, haben Leana Pfarr geformt - die schließlich selbst noch eine Heranwachsende ist. Mit 15 färbte sie sich zum ersten Mal eine Haarsträhne grün. Ihre Eltern waren dagegen. "Ich habe die Strähne unauffällig immer ein Stück größer gefärbt", sagt sie und lacht. Als sie 18 Jahre alt geworden ist, färbte sie sich die Haare komplett. Was ihr großer Bruder und ihr Zwillingsbruder dazu gesagt haben? "Die fanden es schon doof, dass ich nicht mehr die süße Schwester bin. Aber sie wissen, dass ich mich trotzdem gern hübsch mache und auch mal ein Kleid trage."

In der Schule sei sie mal schlecht und mal gut gewesen. "Ich habe mich immer nur reingehängt, wenn mich etwas wirklich interessiert hat", erzählt Pfarr. Eine Vorzeigeschülerin sei sie nie gewesen. Im vergangenen Jahr habe sie dennoch ihr Abitur bestanden.

Heute hört sie Punkmusik, ordnet sich linkspolitisch ein und würde am liebsten "vieles besser machen in der Gesellschaft". Dass man sie auf Demonstrationen gern den Krawalltouristen zuordnet, sie auf der Straße als fauler Punk einsortiert, der auf Kosten der Gesellschaft lebt, sei ihr egal. "Es gibt Punks, die sitzen auf der Straße und betteln aus Protest. Ich protestiere und mache trotzdem etwas aus meinem Leben", erklärt sie.

Seit Oktober studiert Leana Pfarr in Halle (Saale) Politik und Geschichte. Was sie damit machen wolle? "Ich würde gern Journalistin werden. Oder Sozialarbeit interessiert mich auch." Genug Erfahrungen hat sie dafür sicherlich. Ihr großer Traum sei es aber Schauspielerin zu werden.

Entschlossen, wohin die Reise gehen soll, ist sie nicht. "Das muss ich ja auch noch nicht sein", sagt Leana Pfarr. Lediglich in einem ist sie sicher. "Wenn ich mich in Halle nicht bald irgendwo engagiere, bekomme ich noch Entzugserscheinungen."