Bürgerpreis: Verena Tunn ist “Mama Glinde“ - seit Monaten unterstützt sie Flüchtlinge und Obdachlose

Kaffeeduft strömt durch die Veranda im hinteren Teil des Togohofs, Glindes Obdachlosenunterkunft an der Glinder Au. Verena Tunn klebt rotgelbe Ostereier-Fensterbilder auf die tristen Scheiben, hängt bunte Papierblumen auf. Zimmerpflanzen stehen auf den Fensterbänken, auf dem Tisch liegen bunte Sets. Die Gestrandeten sollen sich zu Hause fühlen. Seit November engagiert sich die 47-jährige Reinbekerin in der ehemaligen Polizeiwache, die für manche Menschen, die alles verloren haben, zur Notunterkunft geworden ist. Zusammen mit der Bürgerinitiative gegen Rechts machte sie auf den schlechten Zustand des Togohofs aufmerksam, der mittlerweile eine neue Küche bekommen hat und im Erdgeschoss renoviert wurde.

Eigentlich wollte sie damals ihren "Jungs" ein gutes Zuhause auf Zeit sichern. Ihre Jungs: Die afrikanischen Flüchtlinge, die von Mai bis November in der Glinder Moschee lebten und dann in die Obdachlosenunterkunft wechselten (wir berichteten). Doch mittlerweile ist "Mama Afrika", wie sie die Afrikaner liebevoll nennen, zu "Mama Glinde" geworden. Nicht mehr nur für die Flüchtlinge ist sie heute der Fels in der Brandung, auch viele der übrigen Bewohner des Togohofs vertrauen sich ihr an. Verena Tunn begleitet sie zu Behörden, zum Jobcenter, hilft ihnen dabei, Fristen einzuhalten, sich um ihre Papiere zu kümmern. Sie organisiert Kleidung und sie hört zu und macht Mut.

"Wenn man Mama ruft, sagt sie immer: ,Keine Sorge, das packen wir an.' Es funktioniert einfach - das Verena-System", sagt Abdo lachend und klopft ihr liebevoll auf die Schulter. "Verena hat uns Afrikanern etwas gegeben, was wir noch nicht kannten und womit wir nicht gerechnet haben. Sie war immer für uns da, hat jedem geholfen. Sie hat etwas Besonderes - ein wundervoller Mensch. Gott schütze dich", sagt der 40-jährige Nigerianer warmherzig. Er ist einer der wenigen afrikanischen Flüchtlinge, die noch in Glinde leben. Ihr Schicksal hatte Verena Tunn nicht losgelassen und so wurde aus einer Spende im Juli ein bis heute fast tägliches Engagement.

Bis heute steht sie mit dem Anwalt und dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, die noch immer für ein humanitäres Bleiberecht der Männer kämpfen, in Kontakt. Martin Link vom Flüchtlingsrat sagt: "Sie ist eine engagierte Frau, die sich ihr großes Herz nicht durch Klischees oder systemische Mängel verstellen lässt: voller Weitherzigkeit und Empathie, streitbar in Vertretung der Anliegen von Menschen gegenüber Dritten, denen es (noch) nicht leicht fällt, für sich selbst zu sprechen."

Für sie selbst ist ihr Engagement "auch ein bisschen Therapie". In der Hilfe für andere geht sie auf, fühlt sich in die Probleme hinein, sucht nach Lösungen - schnell und unkompliziert, eine Frau mit einem unglaublich großen Gerechtigkeitssinn und Tatendrang. "Es ist oft anstrengend, aber auch erfüllend - auch weil ich hier viele tolle Menschen kennengelernt habe, die sich engagieren", sagt die 47-Jährige, die selbst einen schweren Weg hinter sich hat, über den sie ungern erzählt.

"Ach, das ist ja auch alles gar nicht so wichtig. Damit habe ich mich abgefunden", sagt sie lachend und nur durch beständiges Nachfragen erzählt sie dann doch - ein wenig, nicht zu viel. Über ihre Krankheit, ihr schweres Rheuma, ihre Autoimmunerkrankung und die starken Medikamente, die sie an manchen Tagen nicht ganz sie selbst sein lassen, den Verlust ihrer Arbeit als gelernte Erzieherin, gescheiterte Behördengänge, weil sie sich frühverrenten lassen wollte. "Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Und die kann ich jetzt weitergeben." Dass sie für ihr Engagement kein Geld bekommt, stört sie nicht. "Mein Mann Sven ist meine Stütze. Ohne ihn wäre das alles auch gar nicht möglich. Wenn man jemanden an seiner Seite hat, kann man immer alles schaffen."

Bürgermeister Rainhard Zug gibt zu, dass sie für die Verwaltung auch so manches Mal eine Herausforderung sei, er aber vor ihr nur den Hut ziehen könne: "Was sie leistet, ist außergewöhnlich und hauptamtlich nicht zu schaffen. Bewundernswert, wie sie die Menschen an die Hand nimmt. Die Welt lebt von Vorbildern und sie ist so eines."

Für ihr ehrenamtliches Engagement ist Verena Tunn nun für den Bürgerpreis Bergedorf der Volksbank Bergedorf und der Bergedorfer Zeitung nominiert. Im April wählt eine Jury die Gewinner. Unter bergedorf@bergedorfer-zeitung.de werden noch Vorschläge entgegengenommen.