Ausstellung: Han Boins Vater arbeitete einst im Glinder Kurbelwellenwerk - Reden mochte er darüber nie

Über die Zeit in Deutschland hat sein Vater nie erzählt, sagt der Niederländer Han Boin. "Ich hätte mehr fragen können, aber er hätte mir sicher nicht geantwortet." Antworten erhoffte sich der 57-Jährige nun von der Ausstellung "Kurbelwellen aus Glinde - eine Industriegeschichte", deren Eröffnung er am Freitagabend im Festsaal des Bürgerhauses besuchte. Dafür waren er und seine Frau Annet (55) extra aus ihrer Heimatgemeinde Losser nach Glinde gereist und haben sich unter die mehr als 100 Besucher gemischt.

Etwa zwei Jahre lang arbeiteten Stadtarchivar Dr. Carsten Walczok, Hobby-Historiker Heinz Juhre und Diplom-Ingenieur Gerrit Oswald an der Ausstellung, stellten Schautafeln, Text- und Bilddokumente zusammen, auf denen Han Boin und andere Nachfahren von Zwangs- und Fremdarbeitern Antworten auf ihre Fragen erhalten. Sie erfahren, wie in dem 1935 errichteten Zweigbetrieb der Krupp AG Kurbelwellen für die Luftfahrt hergestellt wurden und was der Preis dafür war - unter welchen Arbeitsbedingungen ihre Eltern und Großeltern litten.

Bis zu 3000 Zwangsarbeiter beschäftigte Krupp in Glinde, auch Fremdarbeiter wie Han Boins Vater. Er starb vor 20 Jahren, ohne je etwas von Glinde erzählt zu haben. Er habe sich geschämt, sagt sein Sohn, wurde als Fremdarbeiter wie viele andere Niederländer angeworben, in Deutschland zu arbeiten. Dass sie für Kriegsvorbereitungen tätig waren, erfuhren sie erst, als es zu spät war.

Nachdem sein Vater gestorben war, begann Han Boin zu recherchieren. "Es ist wie ein Puzzle, das nie komplett wird. Hier zu sein, ist wichtig für mich und meine Familie. Ich habe jetzt eine Bestätigung dafür, dass er hier war. Das gehört zu unserer Geschichte."

Gemeinsam mit Carsten Walczok lief der 57-Jährige bei seinem ersten Besuch durch den Ort, in dem sein Vater drei Jahre seines Lebens verbrachte - drei Jahre, die ihn und die Familie prägten. "Es war eine besondere Erfahrung, dort entlangzulaufen, wo auch mein Vater war."

Dass Ortsgeschichte nicht provinziell sei, zeige diese Ausstellung, betonte der langjährige Kreisarchivleiter Dr. Johannes Spallek bei der Eröffnung. "Ortsgeschichte kann viel mehr sein: Sozialgeschichte, Militärgeschichte und auch Familiengeschichte. Es geht immer auch um Personen. Jeder Lebenslauf ist davon bestimmt."

Auch Heinz Juhre, der sich seit Ende der 80er-Jahre mit der Geschichte des Kurbelwellenwerks beschäftigt, erinnerte daran, wie sehr es den Ort und seine Bewohner geprägt habe. "Viele Bürger haben eine große Beziehung dazu, weil etliche von ihnen oder ihren Vorfahren hier arbeiteten. Da gibt es Verbindungen in viele Glinder Familien."

"Weil Geschichte nie zu Ende ist", hoffen Heinz Juhre und seine beiden Mitstreiter auf interessante Gespräche mit den Ausstellungsbesuchern und weitere Erkenntnisse. Spallek sprach den drei Machern bereits große Anerkennung aus. Vorher habe es nur eine vage Vorstellung vom Kurbelwellenwerk gegeben. "Jetzt können wir von historischen Kenntnissen sprechen."

Gespickt werden die auch mit besonderen Exponaten: einer Original-Flugzeugkurbelwelle aus dem Luftwaffenmuseum Berlin-Gatow, die einst in Glinde gefertigt wurde, und kleinen Modellflugzeugen, die der Ingenieur Gerrit Oswald gebaut hat.

Die Ausstellung ist bis zum 16. Februar im Bürgerhaus (Markt 2) zu sehen: donnerstags von 13 bis 21 Uhr, freitags, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr.