“Mädchengymnastik“: Heute hilft Dieter Gurkasch anderen Häftlingen, mit Yoga ihr Leben zu ändern

Seine Wandlung vom Schwerverbrecher zum überzeugten Yogi scheint unglaublich. Dieter Gurkasch (52) liest am Dienstag, 28. Februar, im Weinkontor Retana an der Dorfstraße 10 in Havighorst aus seiner Biografie "Leben reloaded". Vorab gibt er einen Workshop mit einfachen Übungen in der Naturheilpraxis Villa Verde nebenan. Beim Yoga werden Atem und Bewegungen in Einklang gebracht.

Gurkaschs kriminelle Laufbahn erschien wie eine Einbahnstraße: Schon als Jugendlicher war er in die Drogenszene abgerutscht, dealte und schreckte vor Gewalt nicht zurück, um seine Sucht zu finanzieren. Bei einem Raubüberfall tötete er im Drogenrausch eine Ladenbesitzerin (55) in Bramfeld.

"Ich habe schwere Verbrechen begangen", ist sich Gurkasch heute bewusst. "Ich habe einen Mord begangen, im Gefängnis gesessen und versucht auszubrechen." Nicht einmal einen Tag später wird er gefasst und wandert zurück in den Knast. Als er die Strafe mit Mitte 30 verbüßt hat, schafft er es nicht, in der Welt "draußen" wieder Fuß zu fassen. "Ich war verzweifelt genug, meinen eigenen, 'heroischen Abgang' zu inszenieren", sagt er heute. Er zettelt eine Schießerei mit der Polizei an, bei der er niedergeschossen wird und nur knapp überlebt. Wieder kommt er ins Gefängnis, sogar in Isolationshaft. Ein einfaches Yogabuch, das seine Frau ihm im Jahr 2000 mitbringt, bringt die Wende: Er beginnt die "Fünf Tibeter" zu üben und stellt zuerst nur fest, dass sie gegen Erkältungen helfen.

Doch die Wirkung der Übungen geht tiefer: "Yoga ist eine Verinnerlichungstechnik, die zu einem Entspannungspuls und einer inneren Befriedung führt - wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen", erläutert Gurkasch. Genau das können sich Außenstehende bei Inhaftierten im Gefängnis nur schwer vorstellen. Gurkasch bestätigt, dass einige seiner Mithäftlinge, die er für eine Yoga-Gruppe gewinnen wollte, dies zuerst als "Mädchengymnastik" abtaten.

Doch er ist überzeugt, dass viele Inhaftierte eine innere Sehnsucht nach Spiritualität haben. Das belege auch eine britische Studie aus den 1980er-Jahren. "Alle Gefangenen sind gescheitert", sagt er. "Das ist ihnen auch zumindest unbewusst klar." Nach amerikanischem Vorbild hat Gurkasch deshalb den Verein Yoga und Meditation im Gefängnis (YoMiG) mit gegründet, um Yoga und Meditation als niedrigschwelliges Angebot im Gefängnis zu verankern. "Auch wenn die Resozialisierung als Ziel des deutschen Strafvollzugs gesetzlich vorgeschrieben ist, spricht eine 70-prozentige Rückfallquote eine andere Sprache", stellt er fest. "Mit Bestrafung verbessert man Menschen nicht. Das ist eher ein Rachevollzug." Ihm geht es aber nicht allein um ein paar Gefangene. "Es geht um eine Befriedung der Gesellschaft insgesamt", erklärt er. Yoga sei kein elitärer Trendsport. Diese Tradition habe einen großen Zulauf. In Deutschland praktizierten sechs Millionen Menschen Yoga. Das zeige auch, dass es eine große Sehnsucht nach Spiritualität gebe.

Dieter Gurkasch ist jetzt bereits seit 13 Jahren dabei. "Yoga hat nicht meine Persönlichkeit verändert, aber meine Einstellung zum Leben", sagt er. Auch sein Blick auf sich selbst sei ein anderer. "Oft nerven Eigenschaften, die man selbst in sich trägt. Seitdem ich das erkannt habe, kann ich sogar darüber lächeln und bin viel geduldiger."

Ebenso lasse das Interesse an aktiven Reizen nach. "Die Sinne werden feiner, wenn man nicht mehr so viel darauf rumschrubbt", sagt er. Deshalb höre er auch weniger Musik, habe aber auch kein Interesse mehr an Drogen. "Ich bin immer noch ein sehr energiestarker, durchsetzungsfähiger Mensch", stellt er fest. "Aber ich nutze das nicht mehr, um Verbrechen zu planen oder Gangsterbanden zu organisieren, sondern um anderen Menschen, auch Gefangenen, die Wirkung von Yoga näherzubringen." Weitere Infos gibt es unter Telefon: (040) 31 70 19 64.