Grünitz und Schaper schreiben Einwohnergeschichte

An seinem Lebensabend hat sich der Oststeinbeker Walter Grünitz ein wahres Denkmal gesetzt. Es umfasst vier dicke rote Wälzer und wiegt mehrere Kilogramm. Zusammen mit seinem Freund Ernst-Jürgen Schaper hat sich der Hobbyhistoriker vier Jahre lang intensiv in die Oststeinbeker und Havighorster Geschichte eingearbeitet. Grünitz hat in eigenen Erinnerungen gekramt, Schaper hat in Archiven, in Katasterämtern und Büchern gewühlt, zusammen haben sie zahlreiche Dokumente, alte Flurkarten und Volkszähllisten und Fotos gefunden. Und entstanden ist ein umfangreiches Werk über die Bevölkerungsgeschichte des Ortes - von 1255 bis in die Neuzeit. Mit 800 Seiten Einwohnerlisten, 5800 Menschen, die einst in Oststeinbek gewohnt haben und deren Namen sich aufspüren ließen, inklusive 300 Seiten Dokumentation. Ein einmaliges Zeitdokument für eine kleine Gemeinde wie Oststeinbek mit heute 8700 Einwohnern.

Im Jahr 1343 hatte es da noch ganz anders ausgehen: 17 Eingesessene haben Grünitz und Schaper nach zäher Suche im Hamburger Staatsarchiv aufgetan, die namentlich aufgelistet wurden. "Wie viele es wirklich waren, wissen wir natürlich nicht. Es wurde nicht jeder vermerkt. Auch nur drei Frauen wurden erwähnt." Mehr Aufschluss gaben da die Volkszähllisten aus dem Amt Reinbek von 1577 bis 1800 und unter der dänischen Krone von 1803 bis 1864. Sogar nach Kopenhagen verschlug es Schaper für die Recherchen.

"Uns haben aber nicht nur die Zahlen interessiert, sondern wo und wie die Menschen lebten, wie ihre Besitzverhältnisse waren, was ihre Orientierungspunkte waren. Wir wollten wissen, wie sich das topgrafische und soziografische Bild eines einst kleinen Bauerndorfes zu einer vorstädtischen, urbanen Randgemeinde entwickelt hat", sagt Schaper und deutet auf eine alte Flurkarte der einstigen "Dorfschaft Oster Steinbeck im Amte Reinbeck" aus dem Jahr 1775.

Ein Jahr nach der ersten sogenannten Verkoppelung - der Privatisierung der bis dahin genossenschaftlich genutzten Acker-, Weide- und Wiesenländereien - zeigt die Karte die einzelnen Hufen und Katen des Ortes. "Heute steht keine mehr davon", weiß Schaper, "die letzte ist 1972 von einem Orkan zerstört wurden. Das war die Anne Jenfeld-Kate, nahe der Mühle, die man heute noch findet." Die Hufen und Katen, die Schaper und Grünitz aufspürten, ließen sie nicht los. Sie wollten wissen, wer wohnte dort. Und nun lässt sich, dank ihrer Arbeit, nachvollziehen, dass etwa im Jahr 1777 eine Anna Reimers in der Hufe 1 wohnte und drei Jahre später ein Nicolaus Siemers.

"Wer Interesse hat, kann dort sehen, wem einmal was gehörte", sagt Schaper, der das Werk nun fertigstellte. Als der ehemalige Datenverarbeiter seinem Freund Walter Grünitz "die Briketts", wie er sie scherzhaft nennt, an dessen 90. Geburtstag feierlich überreicht, ringt Grünitz um Fassung. Ganz still wird er plötzlich, der sonst eigentlich immer etwas zu erzählen hat - denn das Wissen ist groß, und kaum etwas davon ist in den neun Jahrzehnten verloren gegangen. "Er ist ein wandelndes Lexikon", schätzt ihn etwa sein Freund Wolfgang Lorenz.

Auch Carsten Walczok, Stadtarchivar in Glinde, hat bereits einen kurzen Blick auf das umfangreiche Werk geworfen: "Es ist eine unfassbare Fleißarbeit. Ich kenne nichts Vergleichbares. Großartig, dass eine kleine Kommune wie Oststeinbek über so einen akribischen Einblick in die Ortsgeschichte verfügt." Welchen wissenschaftlichen Wert die Arbeit hat, kann er erst sagen, wenn er sich das Werk näher angesehen hat. Er hofft jedoch, dass die Gemeinde oder Sponsoren das Werk zu schätzen wissen und Geld zur Verfügung stellen, damit die Arbeit vervielfältigt und Universitäten zur Verfügung gestellt werden kann.

"Ohne Ernst-Jürgen wäre das aber niemals zu schaffen gewesen. Er ist von Pontius zu Pilatus gelaufen, hat alle Listen akribisch in den Computer getippt und dieses wunderbare Werk Wirklichkeit werden lassen", sagt Grünitz.

Vorsichtig blättert er in den Büchern, tupft sich nebenbei eine kleine Träne am rechten Augenwinkel weg. "Ich bin sprachlos." Auf einer Karte entdeckt er das Grundstück seines Elternhauses im Lägerfeld. Heute wohnt er nur wenige Meter weiter - immer noch in dem alten Ortskern, um den herum sich die Gemeinde in den vergangenen Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg immens entwickelte. "Ohne den Isodor Müller sähe der Ort heute sicher etwas anders aus", beginnt er zu erzählen. Müller sei ein jüdischer Makler aus Hamburg gewesen, der in den 30er-Jahren im aufkommenden Nationalsozialismus mehrere Hektar Oststeinbeker Land, das in seinem Besitz war, verkaufte. "Er hatte sein Land mit Bebauungsplänen verkauft - daraus entstanden die späteren Streusiedlungen." Oststeinbek wuchs. "Später kamen dann viele, viele Flüchtlinge, mehr als Einwohner da waren", erinnert sich Grünitz. "Heute ist der Ort so groß und verändert. Aber es ist schön, die Geschichte zu kennen."

Walter Grünitz und Ernst-Jürgen Schaper sind Mitglieder des Havighorster Oststeinbeker Geschichtskreises, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte der beiden Ortsteile aufzuarbeiten.