Menschlichkeit: 47-Jährige kümmert sich um “ihre Jungs“: die Flüchtlinge der islamischen Gemeinde

9.30 Uhr: Liebevoll rüttelt Verena Tunn an den Schlafsäcken der Flüchtlinge, die seit Anfang Juni im Keller der Glinder Moschee übernachten. "Aufstehen, Frühstück machen!", ruft sie lachend. "Raus aus den Schlafsäcken." Es ist jeden Morgen dasselbe Ritual, mit dem die 47-jährige Reinbekerin seit einigen Wochen den afrikanischen Männern in den Tag hilft. Als sie Ende Juli etwas Kleidung und Lebensmittel zur Islamischen Gemeinde am Tannenweg brachte, ahnte sie noch nicht, wie sich ihr Leben verändern und sie kurze Zeit später für elf Männer "Mama Afrika" sein würde.

"Verena kommt jeden Tag, und sie ist gut zu uns, als wären wir ihre Kinder - ihre eigene große Familie. Deshalb ist sie für uns ,Mama Afrika'", sagt Souleymane Traore (24) aus Mali. Bis zu neun Stunden ist Verena Tunn für die Flüchtlinge in der Moschee da, hilft ihnen, kulturelle Probleme zu überwinden und aus ihrer Depression herauszufinden. "Sie brauchen jemanden, der sie an die Hand nimmt, ihnen sagt, was sie tun können oder müssen. Man darf sie nicht sich selbst überlassen", sagt sie.

Immer wieder komme es vor, dass die Männer gelangweilt vor dem Fernseher säßen, teilnahmslos auf den Bildschirm starrten. "Sie werden krank. Man darf nicht vergessen, was sie erlebt haben. Da sind sehr schwere Schicksale dabei, und hier ist alles fremd." Hinzu komme die Ungewissheit, wie es für sie nun weitergehe. Deshalb half Verena Tunn auch bei Behördengängen, suchte den Kontakt mit der Stadtverwaltung, mit der Ausländerbehörde des Kreises Stormarn. Ziel ist es, für die Flüchtlinge eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu bekommen. Vor einer Woche ging Verena Tunn mit den Männern ins Rathaus, meldete sie bei der Stadt Glinde an. Seither gelten sie offiziell als obdachlos, und die Verantwortung der Unterbringung liegt bei der Verwaltung.

Jetzt unterstützt Verena Tunn die Männer beim Umzug in die beiden Obdachlosenunterkünfte. Fünf sind bereits im Stadtteil Wiesenfeld untergekommen, sechs sollen noch diese Woche Räume im Togohof beziehen. Sie organisiert wärmere Kleidung für die kalte Jahreszeit, Geschirr, Töpfe. Und sie macht Druck bei der Stadt. "Die Unterkunft Togohof ist unbewohnbar, verdreckt, die Toiletten sind so unmöglich, dass sie eigentlich erneuert werden müssten. So werde ich meine Jungs da nicht einziehen lassen", sagt sie empört. Die Stadt hat reagiert, lässt die Räume reinigen, streichen, ersetzt einige Möbel.

"Diese Hilfe und Menschlichkeit ist einfach einzigartig. Verena guckt täglich nach dem Rechten, schaut, was fehlt, vermittelt den Sprachunterricht - sie ist ihr Sprachrohr und das auf ganz liebevolle Weise", sagt der Vorsitzende der Islamischen Gemeinde Reinbek-Glinde, Arif Tokicin.

Dabei war es für Verena Tunn anfangs nicht leicht, in der Islamischen Gemeinde Fuß zu fassen. "Ich habe da wohl schon für ein gewisses Chaos gesorgt und Naserümpfen, weil ich als Frau in eine reine Männerwelt reingeprescht bin", erinnert sie sich an die ersten Tage. Aber mittlerweile sei sie ein Teil der Gemeinschaft geworden. Auch wenn die Männer aus Mali, Ghana, Niger und Elfenbeinküste nun in die Obdachlosenunterkünfte umziehen, will die ausgebildete Erzieherin, die sich nach einer schweren Chemotherapie eine berufliche Auszeit genommen hat, weiter für sie da sein.

"Viele haben vor Wochen noch kein Wort rausbekommen. Heute geht das schon besser. Jedes Wort und jedes Lächeln sind ein kleiner Erfolg", sagt sie und streicht Fodé, mit 23 Jahren jüngster der Gruppe, liebevoll über die Schulter. "Das, was ich meinen Jungs von Herzen wünsche, ist aber, dass die Situation in ihren Heimatländern irgendwann wieder so gut ist, dass sie zu ihren Familien zurückkehren können."