Zipfelmützenträger: Über ihre 98 meist bärtigen Jungs kann die 72-Jährige viel erzählen

2013 ist zum heimlichen Jahr des Gartenzwerges geworden. Denn die altehrwürdige englische Chelsea Flower Show, die jetzt das 100-jährige Bestehen feierte, erlaubte erstmals die Anwesenheit von "gnomes" auf ihrem Gelände. Was bis dato als typisch deutsch und kitschig verpönt war, wurde zur Wohltätigkeitsaktion. Denn Promis von der Schauspielerin Helen Mirren bis hin zu Sänger Elton John bemalten mehr als 100 Zwerge, die über ein Internet-Auktionshaus versteigert wurden.

Ingrid Krause (72) besitzt keinen dieser Promi-Zwerge. Aber ihre 98 kleinen, zumeist bärtigen Männer hätten mindestens genauso viel zu erzählen: Von staunenden Kindern und amüsierten Großeltern, die am Gartenzaun an der Straße Rübekampen stehen bleiben und versuchen, sich einen Überblick über die bunten Jungs zu verschaffen; aber natürlich auch Geschichten von Passanten, die den Kopf schütteln und etwas wie "so ein Kitsch" vor sich hin brummeln. Sie können auch von Zwergenraub und unerwartetem Zuwachs berichten.

Zwergenchefin Ingrid Krause schmunzelt dazu. "Ich liebe das Bunte und hab' mein Herz auf einer gemütlichen Rügen-Reise an die kleinen Kerle verloren. Dort stand eine ganze Fußballmannschaft - bunt und lustig. Als Kriegskind hatte ich nie etwas Buntes zum Spielen. Es ist also einfach Nachholbedarf", erläutert sie.

Also müssen ihre kleinen Leute auch rund ums Jahr im Garten durchhalten. "Erst recht im Winter, im Schnee kommen die Farben zur Geltung", schwärmt sie. Natürlich setzen ihnen Regen, Sonne und Frost zu. Aber Ingrid Krauses Mann Eckhard hat ein großes Herz für die Jungs.

Der pensionierte Elektro-Meister setzt sie im Vorgarten per Bewegungsmelder nicht nur ins rechte Licht, er restauriert sie auch. In der "Krankenstation" hinten im Garten warten schon wieder drei auf liebevolle Zuwendung und viel Farbe. Letzteres haben die Gummi- und die tönernen Zwerge aus Thüringen nicht nötig. "Wir fahren schon öfters mal nach Gräfenroda in die traditionsreiche Zwergenfabrik, und dann kommt wieder einer mit", sagt Ingrid Krause, die übrigens keinen Favoriten hat, sondern alle ihre Zwerge gleichermaßen liebt. Auch wenn ihr mal einer zuläuft, wird er herzlich in die Wohngemeinschaft aufgenommen. Das passiert. Sowohl angemeldet, als auch unangemeldet.

"Manchmal fragen Leute, ob sie Zwerge, die sie geerbt haben, vorbeibringen dürfen, manchmal steht einfach morgens ein neuer da", sagt Ingrid Krause. Nicht so witzig war es, als einer ihrer Jungs entführt wurde, oder war er einfach aus diesem von Männern dominierten Garten ausgebüxt? Jedenfalls wurde der stattliche, fast einen Meter große Kerl auf der Möllner Landstraße von der Polizei erwischt und zurückgebracht.

Die Urväter der Zwerge waren übrigens aus Marmor oder Sandstein und sehr schwer. Sie schmückten Ende des 17. Jahrhunderts die barocken Gärten und zeigten kleinwüchsige Spaßmacher bei Hof. 200 Jahre später haben sie die mittelalterlichen Bergleute zum Vorbild, zeigen sich mit Spitzhacke, Schaufel, Laterne und Schubkarre.

Im Nationalsozialismus waren die Jungs mit der roten Zipfelmütze zum Beispiel an der Deutschen Weinstraße in der Pfalz als störend verboten. Den Tiefpunkt ihrer Beliebtheit erreichten sie in den 1960er-Jahren, wo sie als Inbegriff des Spießertums galten.

Die Zwerge fanden schon bald darauf gesellschaftliche Akzeptanz als kleine, blaue Schlümpfe. Neue Formen wurden in den 1990er-Jahren entwickelt. So lässt schon mal ein Zwerg die Hüllen fallen, zeigt einen Mittelfinger oder liegt bäuchlings mit einem Messer im Rücken im Gras. Von dem ermordeten will Ingrid Krause nichts wissen. Die beiden anderen finden sich aber schon in ihrer Sammlung. "Aber der eine steht natürlich mit dem Rücken zur Straße", unterstreicht sie und grinst.