Engagiert: Raumpflegerin Marlies Kröpke ist freigestellt und vertritt 18 000 Kollegen der Nordkirche

Ein ästhetischer Reinfall: "Der absolute Kitsch", sagt Kröpke heute. Dennoch löste das Geschenk bei ihr eine Sucht aus. Heute kann es vorkommen, dass die 62-Jährige um 5 Uhr aufsteht, weil sie sich auf ein schönes Puzzle freut. "Denn nur beim Puzzeln, kann ich meine Gedanken ausknipsen."

Beim Fernsehen oder beim Lesen klappt das nicht. "Spätestens bei der vierten Seite kreisen sie wieder in meinem Kopf", erzählt sie. Denn die Raumpflegerin hat eine spannende Karriere hingelegt und sich seit 2009 freiwillig große Verantwortung aufladen lassen: Als Vorsitzende der Mitarbeitervertretung der Nordkirche vertritt sie mit 18 weiteren Kollegen heute 18 000 Mitarbeiter aus 116 Gemeinden zwischen Harburg und Eichede. "Wenn wir zwei Gemeinden pro Tag besuchen, schaffen wir das nicht immer in zehn Stunden", erzählt Kröpke.

Die Berufsbilder reichen vom Küster über die Erzieherin bis zum Friedhofsgärtner. "Da muss man von allem ein bisschen verstehen." Sie handelt Tarife aus, fragt nach den Arbeitsbedingungen oder wirkt an Leitfäden für Mitarbeitergespräche mit. Das Druckmittel Streik existiert in der Kirche allerdings nicht. "Bei uns herrscht Friedenspflicht." Ihr macht die Arbeit Spaß, es gebe aber auch unangenehme Seiten: Eigentlich sei die Kirche ein guter Arbeitgeber, doch dem Sparzwang fallen auch Stellen zum Opfer. "Es ist nicht schön, wenn man erlebt, wie ein gestandener 50-Jähriger beginnt zu weinen", betont sie. "Aber zum Glück sind wir mittlerweile gut vernetzt. Wenn eine Stelle frei wird, werden wir angerufen und können manchmal etwas retten. Das ist mein schönster Applaus, wenn wir eine Entlassung abwenden können."

Dass eine Raumpflegerin wie sie gewerkschaftlich organisiert ist, ist selten. "Ich nenne es das Putzfrauen-Syndrom. Ich sage meinen Kolleginnen: 'Ihr müsst schon aktiv werden, wenn ihr mehr Lohn wollt.'" Sie selbst hat bereits als Raumpflegerin der Kirchengemeinde Reinbek-Mitte alles Mögliche für ihre Kollegen geregelt. Deshalb wurde sie 2001 in die Mitarbeitervertretung gewählt. Dort engagierte sie sich weiter, bis sie 1300 Kollegen vertrat und freigestellt wurde. 2009 fusionier- ten die drei Kirchenkreise schließlich zur Nordkirche.

Ihren Gerechtigkeitssinn verdankt sie ihrem Großvater: Der Schwarzenbeker Ernst Martens war Unternehmer - und Kommunist. "Als ich vier Jahre alt war, war der Bauernverband bei uns auf dem Hof zur Versammlung", erzählt sie. "Mein Opa hat mir eine rote Fahne in die Hand gedrückt, mich auf den Hühnerstall gesetzt und mich die Internationale singen lassen. Das gab Ärger." Warum, verstand sie damals nicht. Doch ihr Opa hat sie geprägt: "Er hat mir beigebracht, dass ich nie sagen dürfte, das kann ich nicht, weil ich ein Mädchen bin."

Gelernt hat sie eigentlich Krankenschwester. Nachdem ihre beiden Töchter aus dem Gröbsten heraus waren, klappte es aber mit der Rückkehr in den Beruf nicht mehr. So begann sie stundenweise zu putzen. Daraus wurden immer mehr Arbeitsstunden.

Seit 2003 ist die heutige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD Glinde kommunalpolitisch aktiv: "Ich hatte vom Skatturnier der SPD gelesen und schrieb Marietta Exner, ob die Partei keine anderen Sorgen hätte." Die lud Kröpke ein vorbeizukommen.

Um da das Gedankenkarussell einmal abzuschalten, hilft nur puzzeln. Dann zieht die 62-Jährige mit großen Taschen los und sucht bei Mebrius am Markt nach neuem "Stoff". "Wenn ich es schon einmal zusammengesetzt habe, ist der Reiz weg." Der beginnt erst bei mehr als 1000 Teilen. Einfache Motive schafft sie neben der Arbeit in drei Tagen, sonst braucht sie eine Woche. "Ich habe meine eigene Technik entwickelt: Erst lege ich den Rahmen. Dann beginne ich, die Teile nach Farben und Formen zu sortieren. Dabei weiß mein Hirn schon, das gehört hierhin, dies dort." Das Esszimmer hat sie mittlerweile zum Puzzlezimmer umfunktioniert. Dort brennt manchmal Licht bis ein Uhr nachts. "Zum Glück brauche ich nicht viel Schlaf", sagt sie - solange sie puzzeln kann.