Glinde (ilk). Das Interesse an der Lesung von Viola Roggenkamp, zu der die “Bücherkate“ und das Team der Sönke-Nissen-Park-Stiftung ins Gutshaus eingeladen hatten, war groß. Mehr als 50 Gäste lauschten den Worten der Autorin, die aus ihrem Roman “Die Frau im Turm“ vortrug.

Roggenkamp erzählt in ihrem jüngsten Werk die Geschichte von Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel. Die war in der Barockzeit die bekannteste Mätresse Augusts des Starken. Doch ihr eigenes Machtstreben machte sie zu einer Gefahr für die Staatsziele. Von Cosel wurde 1716 unter Arrest gestellt und blieb bis zu ihrem Tod 1765 als Gefangene auf Burg Stolpen.

Roggenkamp beschreibt, wie die Gräfin nachts von Flucht träumt: "Sie will zurück nach Dresden, nach Pillnitz, zurück in ihr statthaftes Leben." Und wie sie es schafft, trotz des Eingesperrtseins bei klarem Verstand zu bleiben: "Es war erstaunlich, wie ihr bei Sprüngen und Dehnungen die besten Gedanken ins Gehirn purzelten." Kraft schöpft die Protagonistin auch aus der Zuwendung zu Büchern und zum Judentum. Sie vergleicht den hebräischen Urtext der Bibel mit Luthers Übersetzung: "Anders als bei den Christen. Die Juden fragen, das gefällt mir". Und in ihrer Vorstellung ist sie für das Volk ohne Land "de Malka, ihre Königin". Die Autorin, die selbst aus einer deutsch-jüdischen Familie stammt, erklärte den Zuhörern: "Ich wollte es erst nicht glauben, aber es ist belegt, dass die Gräfin als Protestantin Kontakt zu Rabbinern hatte."

Parallel zur historischen Geschichte wird in "Die Frau im Turm" noch eine andere erzählt, die der jungen Hamburgerin Masia Bleiberg, die in der Nachwendezeit ihren in der DDR verschollenen jüdischen Vater aufsucht. "Vielleicht hätte ich Dich nicht gesucht, wenn Du kein Jude wärst. Du hast mir etwas vermacht, was mich unterscheidet von den Anderen", sagt sie auf einer Zugfahrt zu ihm. Das sorgt für einen Konflikt, und Masia erregt sich darüber, "wie er ihr jüdisches mit seinem deutschdemokratischen Gedankengut zu einer narzisstischen Marotte zerredete".

Auf die Frage aus dem Publikum, weshalb sie im Roman die Barockzeit mit der Moderne verknüpft habe, antwortete Viola Roggenkamp: "Ich empfand beim Schreiben, dass die Vergangenheit ein Gegenüber im Heute braucht." So gelang es ihr zu zeigen, dass die Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität nichts von seiner Aktualität verloren hat.