Glinde (ahr). Der Wahlkampf für die Europawahl am 7. Juni geht in die heiße Phase. Auch Ulrike Rodust tourt durch Schleswig-Holstein, absolvierte seit Januar 412 Termine.

Die 59-Jährige steht auf der Bundesliste der SPD auf Platz zwölf und wird fast sicher ins neue EU-Parlament einziehen.

Sie sind für den verstorbenen Willi Piecyk im September vergangenen Jahres in das EU-Parlament gekommen. Wie sind die ersten Erfahrungen: Ist die Arbeit weniger vom Parteienstreit geprägt als im Landtag?

Nein, das ist sie nicht. Wir streiten nicht im eigentlichen Sinne, aber zwischen den Fraktionen findet schon eine politische Abgrenzung statt. Ein Konservativer beantwortet eben die Frage, ob wir weiter Atomkraft nutzen wollen, anders, als ein Sozialist oder Grüner. Allerdings laufen die Debatten im Parlament anders ab. Bei denen sind nur die Abgeordneten anwesend, die sich mit einer bestimmten Richtlinie in Arbeitsgruppen und Fraktionen befasst haben. Dort wird zuvor intensiv debattiert.

Mussten Sie sich an dieses Prozedere erst gewöhnen?

Gewöhnen musste ich mich an die schiere Größe - der Gebäude, der Fraktionen und auch des Plenarsaals. Da kann ich mein Gegenüber ohne Fernglas nicht erkennen. Deshalb werden Abstimmungen gründlich vorbereitet. Zunächst müssen in der Gruppe deutscher Abgeordneter die Vorstellungen der 16 Bundesländer unter einen Hut gebracht werden. Dann geht es in die sozialistische Fraktion, wo ein Kompromiss mit den sozialistischen Abgeordneten der anderen europäischen Länder gefunden werden muss. Erst dann kommt das Thema in die Ausschüsse. Da wir im Europäischen Parlament seit langem eine konservative Übermacht haben, ist es schwierig, sozialistische Ideen für Europa umzusetzen.

Brüssel ist weit. Ist es schwierig, Kontakt zu den Menschen im Wahlkreis zu halten?

Es gibt drei Ebenen des Kontakts. Zum einen haben wir - wenn auch recht selten - eine Wahlkreiswoche, um mit Institutionen, Verbänden und Bürgern vor Ort zu sprechen. Zum anderen ist es Dank elektronischer Medien für die Bürger kein Problem, mit ihrem Abgeordneten in Kontakt zu treten. Mich erreichen unglaublich viele Anfragen per E-Mail. Eine weitere wichtige Kontaktebene ist der Lobbyismus - der wird oft negativ gesehen, ist es aber nicht nur. Der Kontakt zu den zahlreichen deutschen Lobbyisten ist auch ein Teil meiner Arbeit, weil ich so die Meinungen der Betroffenen bekomme.

Sind Mehrheitswechsel im EU-Parlament auf kommunaler Ebene überhaupt spürbar?

Ich denke schon. Die EU wird konservativ regiert: Wir haben konservative Mehrheiten im Ministerrat, in der Kommission und im Parlament. Das hat dazu geführt, dass wir uns intensiv um Währungsunion und Binnenmarkt gekümmert haben, was ich auch sehr wichtig finde. Aber dabei rückten soziale Aspekte in den Hintergrund. Ich bin Sozialdemokratin, und gemeinsam mit den sozialistischen Abgeordneten der anderen Länder will ich dafür sorgen, dass europaweit ein soziales Netz gespannt wird - in den Bereichen, in denen die EU zuständig ist. Jede Rechtsakte sollte auf ihre sozialen Folgen geprüft werden. Da unterscheiden wir uns schon sehr von unseren konservativen Kollegen.

Welches werden Ihre Kernthemen in Brüssel sein?

Willi Piecyk hat sich intensiv mit den Bereichen Verkehr und Transport sowie Fischerei befasst. Das habe ich als Nachrückerin übernommen, man ändert so etwas nicht in der laufenden Legislaturperiode. Aber mein Fraktionsvorsitzender hat sich meine Vita angeschaut und gesehen, dass ich in Schleswig-Holstein zwei Jahre für den ländlichen Raum und für Agrarpolitik gestanden habe. Diese Arbeitsschwerpunkte werde ich federführend übernehmen.

Warum sollen die Bürger Sie wählen?

Weil ich garantieren kann, dass ich eine Politikerin bin, die sich um die Sorgen und Nöte der Menschen kümmert. Als Parlamentarierin verstehe ich mich als Mittlerin zwischen Betroffenen und Regierenden.