Reinbek. Ausstellung in der Reinbeker Nathan-Söderblom-Kirche: Jakob Rieke zerlegt seine Malerei in kleinste Teile und fügt sie neu zusammen.

„Jeder kennt die Mona Lisa – oder meint zumindest, sie zu kennen“, stellt Jakob Rieke fest. „Ich jedenfalls war noch nie im Louvre. Ich habe sie noch nicht gesehen.“ Dabei ist der 28 Jahre alte Student der Kirchenmusik, der Musiktheorie und der Schulmusik durchaus an bildender Kunst interessiert – so sehr, dass er mittlerweile etwa 50 Prozent seiner Zeit für die Malerei nutzt. Sein Thema: Wie verändert die Digitalisierung oder auch mediale Reproduktion unsere Wahrnehmung?

Meist malt er abstrakt mit Lack, Acryl und Mischtechnik auf Karton. So entsteht ein „Rohling“, wie er diese erste Version seiner Malerei nennt. Aus diesem schafft er neues Bildmaterial, indem er es zerstört: Er greift zu Cutter oder Schere und zerschneidet das Bild in kleinste, unregelmäßige Quadrate. „Ich zerlege das Bild quasi in seine ‚Moleküle‘“, sagt der Künstler, „in seine kleinsten Bestandteile – wie in Pixel.“ Danach komponiert er aus den kleinen Quadraten sorgfältig ein neues Gemälde.

Reinbek: Wie verändert Digitalisierung unser Kunstererlebnis?

„Das macht sehr viel Arbeit und kostet viel Zeit“, erzählt Rieke. Etwa einen Monat brauche er für ein Bild. Manche „Rohlinge“ sind auch Werke anderer Künstler, wie die „Heidelandschaft“, die Adolf Gustav Döring 1897 gemalt hat. 2022 hat Rieke daraus eine neue Landschaft gemacht, aus lauter kleinen, fast quadratischen Schnipseln. Ab 6. Januar zeigt er 26 seiner Bilder in der Nathan-Söderblom-Kirche. Passend dazu installiert er dort eine „Klangwolke“.

„Ich könnte mir auch weniger Arbeit machen, meine Bilder einfach als Visual Arts online ausstellen“, sagt Jakob Rieke. Doch an einem oberflächlichen Bilderkonsum ist er nicht interessiert. „Ich stelle mir eher vor, dass die Leute, die meine Bilder anschauen, sie quasi mit ihren Augen erfühlen“, sagt der Künstler.

Einem Kunstwerk wird Gewalt angetan

Durch die Bearbeitung wirken die Oberflächen seiner Gemälde fast wie gewebt, manchmal schieben sich Schnittkanten reliefartig nach oben. Das Licht von oben wirft auf den Bildern Schatten. All dies wäre auf Reproduktionen nicht zu erkennen. „Dass einem Kunstwerk damit sozusagen Gewalt angetan wird, scheint aber kaum jemand zu merken“, sagt der 28-Jährige.

Die Nathan-Söderblom-Kirche am Täby-Platz in Reinbek von Friedhelm Grundmann steht unter Denkmalschutz.
Die Nathan-Söderblom-Kirche am Täby-Platz in Reinbek von Friedhelm Grundmann steht unter Denkmalschutz. © Susanne Tamm | Susanne Tamm

Die ganze Ausstellung wird eine Gesamtkomposition aus den bearbeiteten Gemälden, Klang und der Architektur unter dem Titel „Entfremdung im digitalen Spiegel“. Denn Jakob Rieke integriert auch den Kirchenraum, in dem er schon konfirmiert wurde, in sein Werk. Wenn er von der denkmalgeschützten Architektur spricht, kommt der 28-Jährige ins Schwärmen: „Sie ist so wunderbar durchdacht“, sagt er.

Es geht um Friedhelm Grundmanns letzte Kirche: „In den 1960er-Jahren sind einige entstanden, aber die Nathan-Söderblom-Kirche ist wirklich eine Kathedrale.“ Die Kirche ist ein großer, schlichter Backsteinbau mit Betonelementen. Außer einigen schmalen Fensterbändern hat sie nur ein größeres Fenster an der Nordwand, das den Blick zum begrünten Innenhof des Gemeindehauses freigibt.

Kirche will sich für kulturelle Veranstaltungen öffnen

Die klare Raumaufteilung folgt der Liturgie: Der Altarraum erhält Licht durch ein Fenster über dem Kirchenschiff. Deckenhohe Betonpfeiler trennen die hohen, schmalen Seitenschiffe vom Mittelschiff. Die Taufkapelle öffnet sich Richtung Norden vom Altarraum aus, sowohl das Taufbecken als auch die Kanzel stehen wie kleine Trutzburgen aus Zement im Raum. „Ich habe das Gefühl, dass die Reinbekerinnen und Reinbeker diese Architektur über die Jahre nicht mehr wahrnehmen“, stellt Rieke fest. Er will den Raum von zusätzlichen Stühlen und Dekor befreien, damit die Raumwirkung wieder zutage tritt.

Seine Bilder sollen die Wände der Seitenschiffe, des Altarraums und der Kapelle schmücken. Glockenturm und Chor sind von draußen, vom Marktplatz klar in ihrer Funktion zu erkennen. Manche seiner Collagen hat Jakob Rieke eigens für diesen Kirchenraum geschaffen, beispielsweise zwei große Bilder für den Altarraum, andere sind schon 2020 entstanden wie die neu geschaffene Landschaft.

Eine Klangwolke soll in der Kirche schweben

Neben den Bildern und der Architektur setzt Jakob Rieke auf seine Klanginstallation, für die er vier Lautsprecher auf der Empore aufstellen will. Dort, wo die große Konzertorgel, die Ahrendorgel zu Hause ist. „Der Raum hat eine Superakustik“, lobt der studierte Kirchenmusiker. „Dafür will ich ein auf der Orgel gespieltes Stück verwenden und aufnehmen. Ein Programm schneidet sich da Schnipsel heraus, vervielfältigt sie und setzt sie neu zusammen - ähnlich wie bei meinen Bildern.“

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Die Klänge werden wie ein Film in Zeitlupe abgespielt. „Sie werden dabei weich ineinander gezoomt wie eine Klangwolke“, erläutert der Künstler. „Ich glaube, dass die Menschen die Klangfarbe der Orgel wiedererkennen und sich dann wahrscheinlich wundern: So kann eine Orgel doch überhaupt nicht spielen.“ Die Installation soll bis Ende Februar, montags bis freitags von 10 bis 14 Uhr zu erleben sein.

Weitere Bestandteile sind Essays von Jakob Rieke zu seinen Bildern, die ausliegen sowie seine Website jakobrieke.de. Wer meint, er könnte dort das Ausstellungserlebnis nachempfinden, täuscht sich: Dort sind verpixelte Reproduktionen seiner Bilder samt der Texte zu sehen. Denn das echte Kunsterlebnis sei einzigartig und lasse sich nur vor Ort in der Ausstellung schaffen.

Die Kirche als idealer Ort für kulturelle Begegnungen

Der Kirchenraum sei wie geschaffen für nicht mediale Erlebnisse – „so wie sich beim Abendmahl der Glaube schmecken und fühlen lässt“, erklärt Jakob Rieke. Seine Ausstellung soll nur der Auftakt sein für weitere Veranstaltungen. „Wir wollen die Kirche für kulturelle Ereignisse öffnen, nicht nur für Konzerte wie bisher“, sagt Pastorin Bente Küster. Die Ausstellung wird am Sonntag, 7. Januar, ab 18 Uhr mit einem Abendgottesdienst und einer Vernissage eröffnet.

Geplant sind außerdem eine Filmvorführung der Dokumentation „Social Dilemma“ mit anschließender Podiumsdiskussion mit der Erziehungswissenschaftlerin Prof. Gaja von Sychowski am 1. Februar ab 19 Uhr sowie eine Finissage samt Vortrag von Architekt Andreas Rauterberg über die Nathan-Söderblom-Kirche am 26. Februar.