Oststeinbek. Taliban verbieten Unterricht für über Zwölfjährige. Der Oststeinbeker Verein Afghanistan-Schulen versucht, das zu umgehen.

Sie haben es wieder gewagt: Im September sind Marga Flader, Vorsitzende des Oststeinbeker Vereins Afghanistan-Schulen, und ihre Mitstreiterin Andrea Niedecken nach Afghanistan gereist. „Unser Reisebericht ist nicht geschönt“, versichert die 69 Jahre alte Oststeinbekerin. „Wir hatten eine gute Reise, wir haben Hunderte unserer Schülerinnen in ihren Klassenräumen persönlich getroffen. Viele Frauen erhalten ein Gehalt über unsere Projekte. Sie waren glücklich, uns zu sehen.“

Sie und ihre Begleiterin hätten sich sicher im Land gefühlt, obschon die Taliban sie auf der Landstraße nach Andkhoi mit einem Wagen begleitet hätten. Doch die Situation für die Schülerinnen habe sich inzwischen weiter verschlechtert. Ältere Mädchen sollen daher nun vor allem online unterrichtet werden. Dafür werden dringend Spenden benötigt.

Online-Unterricht für afghanische Schülerinnen – Spenden gesucht

„Leider hat sich die Lage nach unserer Rückkehr aber doch verschlechtert“, bedauert Marga Flader, die den Verein jetzt seit 20 Jahren leitet. Eine Delegation des Bildungsministeriums aus Kabul habe den Unterricht in Andkhoi kontrolliert. Alle Hilfsorganisationen würden zurzeit überprüft. „Unsere Kurse für die älteren Mädchen seien nicht legal, hieß es“, berichtet Flader und bedauert, dass es ihnen untersagt worden sei, die Mädchen ab Klasse sieben oder ab einem Alter von zwölf Jahren zu unterrichten.

Das ist ein herber Schlag für die Arbeit des Vereins, der seit fast 40 Jahren den Schulunterricht aller Kinder am Hindukusch fördert, besonders aber der afghanischen Mädchen. „Ich tue mich schwer damit, dies zu akzeptieren, aber wir müssen nun eine Weile sehr vorsichtig sein, um unsere etwa 130 Mitarbeitenden zu schützen“, erklärt sie. Das Team vor Ort sei sehr gestresst gewesen, durch den Druck hätten auch Teammitglieder gesundheitlich gelitten.

Trotz aller Krisen geben die Ehrenamtlichen nicht auf

Doch die Ehrenamtlichen lassen in ihrem Engagement trotz der Widrigkeiten durch die Taliban und trotz aller neuen Krisen in der Welt nicht nach. „Die älteren Schülerinnen halten jetzt über WhatsApp Kontakt mit ihren Lehrerinnen“, erzählt Flader. „Außerdem können sie über YouTube online und über Kabel-TV Unterrichtseinheiten verfolgen, die unsere Lehrer aufgezeichnet haben.“ Mädchen bis zur sechsten Klasse und Jungen der Klassen eins bis zwölf können die staatlichen Schulen weiter besuchen.

Die Mädchen der in der Aq Masjid Dorfschule sind begierig darauf, etwas zu lernen, und während des Unterrichts voll bei der Sache. 
Die Mädchen der in der Aq Masjid Dorfschule sind begierig darauf, etwas zu lernen, und während des Unterrichts voll bei der Sache.  © Afghanistan-Schulen | Afghanistan-Schulen

Für die anderen plant der Verein jetzt Projekte unter dem Radar der Taliban. „Wir greifen jetzt auf die Erfahrungen der Coronazeit zurück und unterrichten 20 junge Frauen online intensiv in Englisch“, berichtet die Oststeinbekerin. „Die meisten von ihnen haben gemäß Duolingo-Standard jetzt die Qualifikation erreicht, dass sie die Aufnahmeprüfung für ein internationales Onlinestudium schaffen werden.“

Laptop und Autobatterie: Online-Unterricht ist nicht billig

Das wollen die Ehrenamtlichen weiter ausbauen und eine Folgegruppe mit weiteren 20 Schülerinnen installieren. „Leider ist diese Form des Unterrichts teuer“, erläutert Marga Flader. „Wir brauchen 1500 Euro pro Person für die Ausstattung, beispielsweise einen Laptop und eine stabile Stromversorgung.“ Dafür würden in Afghanistan meist umgewandelte Autobatterien verwendet.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: „Der Unterricht an unserer eigenen kleinen Grundschule mit 400 Jungen und Mädchen im Lager für Binnen-Vertriebene läuft weiter, wie wir es während unserer Reise erleben durften“, sagt die ehrenamtliche Entwicklungshelferin. „Diese Schule ist uns wichtig, weil das Leben der Kinder in diesem Lager so schwierig ist.“ Viele der Kinder zeigten Mangelerscheinungen, weil es an Nahrungsmitteln fehle.

Mädchen und Lehrerinnen sind doppelt benachteiligt

„Aber als wir diese Geflüchteten nach ihren Wünschen fragten, nannten sie uns 2020 zuerst eine Schule, nicht etwa ein Dach über dem Kopf oder Nahrung“, erzählt Marga Flader. „Sie wünschen sich für ihre Kinder eine bessere Zukunft. Wir benötigen daher monatlich 2500 Euro für die Gehälter, Lehr- und Lernmaterial und zum Heizen während der kalten Monate.“ Mehr Informationen gibt es unter www.afghanistan-schulen.de.

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Marga Flader berichtet: „Bis Ende des Jahres läuft ein vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördertes Beratungsprojekt an 15 Schulen. Seit 2021 bemühen wir uns darum, die finanziellen Mittel für den Bau eines einsturzgefährdeten Gebäudes für eine Mädchenschule in Mazar zu erhalten.“ Das BMZ stehe dem Projekt positiv gegenüber, aber das Auswärtige Amt verweigere seine Zustimmung, weil es das Taliban-Regime nicht mit Infrastrukturprojekten unterstützen will.

Seit 2001 baut der Verein Schulgebäude in Afghanistan

Leidtragende dieser Entwicklungspolitik seien die Mädchen und ihre Lehrerinnen, sagt Flader: „Sie werden doppelt gestraft – einmal von den herrschenden Taliban und einmal durch die ausbleibende Entwicklungshilfe.“ Angesichts der Erdbebengefahr im Land – der Norden des Landes, in dem der Verein aktiv ist, ist von den aktuellen Beben nicht betroffen – sei ihre Sorge, dass das doppelstöckige Schulgebäude einstürze und die Mädchen unter sich begrabe, riesengroß.

Die Vereinsarbeit begann in Pakistan, wo die 2019 verstorbene Oststeinbekerin Ursula Nölle das Elend in den Flüchtlingslagern für Afghanen kennengelernt hatte. 1983 waren Millionen Menschen nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen aus Afghanistan geflohen. Bis 2002 wurden zunächst Schulen in verschiedenen Lagern aufgebaut und unterstützt. Nach Abzug der Sowjettruppen engagierte sich der Verein zudem in der Region Andkhoi. Dies weitete sich nach Ende der Taliban-Herrschaft ab 2001 mit dem Bau von Schulgebäuden aus.

Verwaltungskosten des Vereins liegen bei sechs Prozent der Gesamtkosten

„Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen arbeiten ehrenamtlich, so können wir die Verwaltungskosten gering halten“, erklärt Marga Flader. 2022 hätten sie sich auf rund sechs Prozent der Gesamtkosten belaufen. Etwas höher als in den Vorjahren, weil der Verein jetzt zwei neue Teilzeit-Kräfte in Hamburg eingestellt habe: einen Projektmanager und eine Kraft zur Entlastung der 69-Jährigen. Doch ohne Spenden gehe es nicht.

Wer die Arbeit der Ehrenamtlichen näher kennenlernen und mit ihnen persönlich sprechen möchte, ist bei ihrem Afghanistan-Abend am Sonnabend, 28. Oktober, ab 19 Uhr im Kulturhof (Alter Teichweg 200, Hamburg) willkommen. Dort gibt es nicht nur afghanische Musik und afghanisches Fingerfood, sondern auch einen Vortrag des neuen Projektmanagers über die aktuelle Lage sowie ein Video über die Reise.