Barsbüttel. Der rund 70 Quadratmeter große Raum im Erdgeschoss der Rhabarberkate im Barsbütteler Ortsteil Willinghusen ist hergerichtet. Auf dem Parkettboden liegen sieben Kunststoffauflagen samt Kissen, in der Mitte sind auf einer silbernen Schale Kerzen und Blumen positioniert. So sieht es aus, wenn Mandy Gellentin hier demnächst Kurse für gestresste und überforderte Eltern gibt mit dem Ziel, dass diese ihre Kinder besser verstehen. Es geht ihr um einen besseren Umgang mit Konflikten und Machtkämpfen sowie um ein Aufwachsen ohne Strafen. Die Reinbekerin hat sich jetzt selbstständig gemacht, bietet auch Vorträge zu dem Thema an.
Ihre Kunden sind Mütter und Väter, deren Nachwuchs maximal sechs Jahre alt ist. Sie erklärt den Erwachsenen, was hinter dem aggressiven oder introvertierten Verhalten eines Kindes steckt, erarbeitet mit ihnen Wege, wie man ein gutes Team wird. Die 47-Jährige verspricht Lösungen für die altbekannten Herausforderungen. Sie sagt: „Es gibt keine problematischen Kinder, sondern nur problematische Situationen. Jungen und Mädchen fallen nur aus der Kooperation, wenn sie gekränkt oder überfordert sind.“ Ihr Credo: Man darf den Kleinen nicht die eigenen Werte überstülpen, muss vor allem drei wesentliche Bedürfnisse beachten: Sicherheit, Bindung und Autonomie. „Hierin steckt meist der Schlüssel zu Problemen. Mein Ansatz ist weg vom Erziehen und hin zur Beziehung.“
Über den Job bei der DAK kam Kontakt mit Katia Saalfrank zustande
Aktuelle Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie, Säuglings- und Bindungsforschung sowie der Evolutions- und Neurobiologie sind Basis der Kursinhalte. Gellentin hat eine prominente Lehrmeisterin gehabt, machte eine Ausbildung bei Diplom-Pädagogin Katia Saalfrank, bekannt als „Super Nanny“ aus dem Fernsehen. Sechs Monate benötigte die Reinbekern – die Hälfte der Zeit Theorie, dann Praxistage in Berlin und schließlich die Abschlussprüfung. Jetzt ist sie zertifizierte Familienberaterin. Für die Fortbildung nahm sie unbezahlten Urlaub.
Aufgewachsen ist Gellentin in Greifswald, nach dem Abitur folgte eine Ausbildung zur Sozialversicherungsangestellten bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK). Dort wechselte sie später in den Marketing- und Eventbereich, konnte Saalfrank für Veranstaltungen gewinnen. Deren Ansatz, Konflikte in der Familie zu lösen, überzeugte sie. Das gab ihr den letzten Kick, sich beruflich umzuorientieren und den sicheren Job zu kündigen. Mit dem Gedanken hatte sie schon länger gespielt. Seit fünf Jahren gibt Gellentin Eltern-Kind-Turnkurse bei der TSV Reinbek, derzeit sind es zwei für unterschiedliche Altersklassen. Der Lohn: 200 Euro Aufwandsentschädigung im Monat.
Dieses Geld ist für sie nebensächlich. Es ist der Spaß am Umgang mit den Kleinen, der für Zufriedenheit sorgt. Oder wie sie es formuliert: „Ich habe gemerkt, wo meine Leidenschaft ist und woran mein Herz hängt.“ Also beschäftigte sie sich damit, den Weg als Unternehmerin einzuschlagen. „Ich habe etwas Sinnvolleres gesucht“, sagt Gellentin mit Blick auf die Tätigkeit bei der DAK.
Die Frau hat eine soziale Ader, das ist nicht einfach nur dahingesagt. 2017 nahm sie für drei Monate ein Neugeborenes auf, deren Mutter nicht wusste, ob sie das Kind behalten wollte. Der Kontakt kam über einen Verein zustande. Eine Adoption war nie ein Thema, auch als klar war, dass das Mädchen nicht zur Mutter zurück kann. Inzwischen lebt es bei einer Familie in der Region. Die Gellentins haben nach wie vor Kontakt, sehen die inzwischen Fünfjährige zweimal im Jahr. „Da waren viele Emotionen, und wir haben auch geweint“, sagt die Familienberaterin über die Zeit als Ersatzmutter.
Ihre Kurse sind eine offene Gesprächsgruppe. Sie arbeitet mit Powerpoint und kleinen Karten, auf denen Probleme geschildert sind wie „Mein Kind zieht sich nicht allein an“. Karten mit Lösungen sind dann zuzuordnen. In diesem Fall mit der Aufschrift „Mein Kind darf sein Tempo finden, ich versuche mehr Zeit im Alltag einzuplanen“.
Die Homepage bastelte sie zusammen mit ihrem Ehemann
Gellentin will ihre Kunden ermuntern, neue Prinzipien in den Vordergrund zu stellen. Sie sagt: „Das Erziehungsziel in der Vergangenheit war, dass Kinder Gehorsamkeit erlernen und sich an ein von Erwachsenen gewolltes Verhalten anpassen.“ Als Beispiel nennt sie ein unordentliches Zimmer und Eltern, die den Nachwuchs zum ständigen Aufräumen zwingen wollen und dementsprechend fordernd in der Ansprache sind, mitunter pöbeln. Sie kennt das von ihrem Sohn. „Wenn es das Kind nicht stört, muss man gewisse Dinge akzeptieren. Zum Beispiel, dass es eben nicht so sauber aussieht wie im Wohnzimmer.“ Sie habe mit ihrem Sohn den Kompromiss erzielt, dass dieser zumindest einmal pro Woche Sachen zusammenräumt und Ordnung hält. Eine Entscheidung, die man als Team getroffen habe.
Die Reinbekerin hat mithilfe ihres Mannes in Eigenregie eine Homepage gebastelt, zudem 1000 Flyer drucken lassen, die in Kindergärten, Bäckereien, Drogerien und bei der TSV Reinbek verteilt sind. Bis zu zwölf Personen können an einem Kursus teilnehmen. Er erstreckt sich über sechs Wochen mit der gleichen Anzahl von Terminen. Kosten: 169 Euro. Gellentin hat bereits Familienzentren in der Region kontaktiert, möchte kooperieren und Aufträge für Vorträge generieren. Im Gebäude der TSV Reinbek an der Theodor-Storm-Straße wird sie zudem Wochenendkurse offerieren, hat stundenweise Räume gemietet: Neben der Rhabarberkate ist die Reinbeker Musikschule ein weiterer Standort.
Mit der beruflichen Veränderung ist Mandy Gellentins Wissenshunger nicht gestillt. Inzwischen absolviert die Mutter eines 17 Jahre alten Sohnes ein Fernstudium, will damit im Frühjahr 2023 fertig sein. Wenn alles klappt, darf sie sich Fachwirtin für Prävention und Gesundheitsförderung nennen.
Mehr Informationen zur bindungs- und beziehungsorientierten Familienberatung auf www.verstanden-gefuehlt.de. Dort sind auch Termine für kostenfreie Info-Abende gelistet.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Stormarn