Ahrensburg. Für die einen ist es ein kleiner Schritt zu einer besseren Schule, für die anderen absurd. Wenn bei Klassenarbeiten mehr als ein Drittel der Schüler eine Fünf oder Sechs bekommt, muss die Schulleitung jetzt nicht mehr nur den jeweiligen Fachlehrer, sondern auch den Klassensprecher zu den Ursachen anhören – und zwar schon ab der dritten Klasse. Das hat Landesbildungsministerin Karin Prien (CDU) per Erlass geregelt, der seit Beginn dieses Schuljahres gilt.
Schärfster Kritiker der Neuregelung ist die Interessenvertretung der Lehrkräfte (IVL) in Schleswig-Holstein. „Es ist ausgeschlossen, dass Klassensprecher ab acht Jahren als Beteiligte, die möglicherweise selbst keine ausreichende Leistung erreicht haben, angemessen das Zustandekommen einer schlechten Klassenleistung reflektieren können“, sagte die IVL-Landesvorsitzende Grete Rhenius dem Abendblatt.
Lehrervereinigung spricht von Scherbengericht durch Schüler
Sie vermutet, dass es politisch gewollt sei, dass Lehrer in vorauseilendem Gehorsam schlechte Noten künftig vermeiden, um sich nicht der Gefahr einer unqualifizierten Be- und Verurteilung ihrer Person und ihres Unterrichtes auszusetzen. Zunehmende Respektlosigkeit und Gewalt hätten das Arbeitsklima bereits deutlich verschlechtert. „Vor diesem Hintergrund brauchen Lehrkräfte den Rückhalt und das Vertrauen ihres Dienstherrn und kein Scherbengericht durch ihre Schüler“, sagt Grete Rhenius.
Dass Mädchen und Jungen als Klassensprecher so viel Macht ausüben können, bezweifeln andere Experten. „Schüler können es schon selbst einschätzen, warum eine Arbeit besonders schlecht ausgefallen ist“, sagt der Stormarner Schulrat Michael Rebling. In der Praxis ändere sich ohnehin nicht viel: Schon jetzt muss der Direktor mit dem Fachlehrer über auffällig miese Klassenarbeiten reden und diese genehmigen. „Häufig wurden dazu bereits freiwillig Schüler gehört“, sagt Rebling.
Viele der 35 Grundschulen verteilen gar keine Zensuren
Das hält auch der Philologenverband Schleswig-Holstein, die Vereinigung der Gymnasiallehrer, für richtig. „Wir sollen Schüler zu mündigen Bürgern erziehen“, sagt Sprecher Walter Tetzloff. „Da ist es ganz normal, sie auch in solchen Fällen zu Wort kommen zu lassen.“ Bei jüngeren Kindern müsse man das Urteilsvermögen entsprechend einordnen. Letztlich rede man über wenige Einzelfälle: In seiner 35-jährigen Lehrerkarriere sei nicht eine einzige Arbeit so schlecht ausgefallen.
In vielen der 35 Stormarner Grundschulen ist der Erlass ohnehin kein Thema: Sie verzichten freiwillig auf Zensuren, bewerten die Leistungen mit Kreuzen in Kompetenzrastern. „Damit stellt sich die Frage gar nicht“, sagt Andrea Aust, Leiterin der Emil-Nolde-Schule in Bargteheide und Kreisvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Klassenarbeiten haben eine doppelte Funktion“, sagt Aust. „Zum einen informieren sie über den Lernstand der Kinder, zum anderen sind sie ein Diagnose-Instrument für Lehrer, ob ihr Stoff ankommt.“ Erkenne sie Lücken, wiederhole sie den speziellen Themenbereich.
Tobias Koch (CDU) hält Schülerbeteiligung für sinnvoll
Die Stormarner Landtagsabgeordneten finden die Neuregelung überwiegend gut. „Es ist nachvollziehbar, auch Schüler an dem Prozess zu beteiligen“, sagt Lukas Kilian (CDU) aus Glinde, „wobei man darüber diskutieren kann, ob das schon für Achtjährige in der dritten Klasse gelten sollte.“ Das Amt des Klassensprechers werde aufgewertet, was zusätzliche Motivation bedeuten könne. Kilian betont, dass es um „einen unfassbar kleinen Regelungsbereich“ gehe. „In meiner Schulzeit gab es auch in schwierigen Fächern wie Mathe immer so viele gute Schüler, dass der Notenschnitt nie so schlecht war.“
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Tobias Koch aus Ahrensburg hält die Schülerbeteiligung ebenfalls für sinnvoll. „Wenn das Ergebnis einer Arbeit so schlecht ist, muss schon vorher einiges schiefgelaufen sein“, sagt er. „Bei der Ursachenforschung sollten alle Seiten zu Wort kommen.“ Auch Lehrer könnten aus Kritik lernen. „Und die Kinder haben ja nicht das letzte Wort, sondern die Schulleiter“, sagt Koch.
Martin Habersaat (SPD) sieht es ebenfalls positiv
Claus Christian Claussen (CDU) aus Bargteheide ist fünffacher Vater, kennt sich in Schulfragen also bestens aus. „Man sollte durchaus auch schon die kleineren Kinder in Grundschulen in solchen Ausnahmefällen hören, die können ihre Empfindungen auch schildern“, sagt er.
Das sieht ein Fachmann aus den Reihen der Opposition genauso. Martin Habersaat (SPD) aus Reinbek, für sein Mandat freigestellter Gymnasiallehrer, erinnert an das Ziel, Kinder dazu zu erziehen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. „Das kann gern auch in der dritten Klasse anfangen“, sagt er. Bei schlecht ausgefallenen Arbeiten sei ihre Meinung einzubeziehen. „Sie sind neben der Lehrkraft die einzigen, die dabei waren“, sagt Habersaat. „Und ich glaube nicht, dass die Autorität der Lehrkraft dadurch geschmälert wird, dass Kinder und Jugendliche ihre Meinung sagen dürfen.“
Andere Möglichkeit: Elternbeirat äußert sich
Kritisch sieht dagegen die Oldesloerin Anita Klahn, bildungspolitische Sprecherin der FDP, den Vorstoß. „Wir muten Kindern in der dritten oder vierten Klasse zu viel zu, wenn sie gegen die Benotung ihrer Lehrer aufbegehren sollen“, sagt sie. Kinder müssten langsam und altersgerecht an die demokratische Praxis herangeführt werden, ansonsten erreiche man nicht Freude an der Teilhabe, sondern das Gegenteil.
Eine Möglichkeit könnte sein, dass sich der Elternbeirat zum Sachverhalt äußern kann, wenn der Klassensprecher dies nicht möchte. Grundsätzlich trage die Schulleitung von vornherein die Verantwortung für eine ordentliche Vorbereitung und ein angemessenes Prüfungsniveau. Dann komme es gar nicht erst zu einem so schlechten Klassendurchschnitt.
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