Reinbek. Manchmal muss man Menschen mit Nachdruck zu ihrem Glück verhelfen. So wie im Fall von Lothar Obst. Damals, 1984 in Mölln, als er im Alter von 27 Jahren wegen einer Krankheit des Amtsinhabers erst zum kommissarischen Chef des städtischen Krankenhauses berufen wurde und plötzlich jüngster Verwaltungsleiter der schleswig-holsteinischen Kliniken war. So wollte es der damalige Bürgermeister Walter Lutz. Widerrede zwecklos. „Ich habe mich gesträubt“, sagt Obst, der als Leiter der Schul- und Kulturabteilung weitermachen wollte. Heute kann der Auserwählte über die Anordnung nur noch schmunzeln, während er auf seiner Lieblingsbank am Kinderspielplatz des Reinbeker St. Adolf-Stifts sitzt und den Blick in den Garten genießt. Dort, wo Obst seit 1997 aktiv ist – natürlich als Krankenhauschef, seiner zweiten und letzten beruflichen Station in dieser Funktion. Denn Ende Juni geht der 60-Jährige in den Ruhestand.
Der Katholik sagt: „Die Tätigkeit in Reinbek war meine Traumposition. Hier konnte ich das, was ich kann, mit dem verbinden, was ich glaube.“ Das Resultat kann sich sehen lassen: Unter seiner Regie stieg die Zahl der Patienten von 11.600 auf rund 18.000 pro Jahr, die der Vollzeitstellen von 430 auf 590 sowie die der Mediziner von 51 auf 110. Auch steigerte er das Budget von rund 35 auf jetzt 60 Millionen Euro per anno. Das Haus ist für die Zukunft gut aufgestellt, zumal es bis 2020 auch noch für 18 Millionen Euro ausgebaut wird. Obsts Leistungen nur anhand von Zahlen zu bewerten, wäre jedoch eine oberflächliche Betrachtung. Er organisierte zahlreiche Ausstellungen in der Klinik, initiierte Voträge.
Bundespräsident Joachim Gauck referierte im St. Adolf-Stift
Prominente wie Bundespräsident Joachim Gauck, dessen Vorgänger Christian Wulff, Schauspieler Manfred Krug oder Weltschiedsrichter Markus Merk kamen ins St. Adolf-Stift und referierten über interessante Themen nicht nur vor Patienten. „So kann man die Hemmschwelle zum Krankenhaus abbauen“, sagt Obst. Die Grenzen zwischen krank und gesund seien fließend. Sein Ziel sei es gewesen, damit eine Stätte des Gemeindelebens zu schaffen.
Seinem Fachpersonal hat der Geschäftsführer viel Entscheidungsspielraum gelassen, eine interne Budgetierung für die Abteilungen gibt es in Reinbek nicht. „Weil ich keine falschen Anreize schaffen wollte und die Auffassung vertrete, dass Vorgaben demotivierend wirken.“ Es treibe ihn um, jungen Menschen Führungsprinzipien zu vermitteln, gerade in Bezug auf die Kommerzialisierung des Krankenwesens. „Viele Häuser haben Pflegepersonal abgebaut, das ist gefährlich.“
Er verstieß gegen das Gesetz, um eine Frau zu retten
Obst ist der Meinung, dass das deutsche Gesundheitswesen durch zu viele Reglementierung und Bürokratie gekennzeichnet ist. Er sagt: „Wir sollten mehr Vertrauen in die Fähigkeit von Menschen setzen, die Angelegenheiten selbstständig und eigenverantwortlich zu gestalten.“ Freiheit schaffe mehr Motivation, Kreativität und Innovation als jedes Gesetz. Apropos Freiheit.
Die hat er sich in seiner Funktion auch einmal genommen, um das Gesetz zu missachten. Allerdings auch nur, weil das Prinzip der Humanität bei ihm an vorderster Stelle steht. Der Fall liegt Jahre zurück: Eine Flüchtlingsfamilie, die sich im Kirchenasyl befand, wurde aus Deutschland abgeschoben, kam illegal zurück. Die Mutter war schwer erkrankt. Obst stand in ständigem Kontakt mit einem Pfarrer. „Nur eine Ordensschwester, der Chefarzt und ich wussten davon“, sagt der Klinikchef. Schließlich wurde die Frau unter falschem Namen im St. Adolf-Stift operiert, tauchte danach wieder unter. Ein halbes Jahr später bekam die Familie Bleiberecht. Obst: „Das war eines meiner schönsten Erlebnisse.“
Um nach Reinbek zu wechseln entließ sich Obst selbst als Lebenszeit-Beamter in Mölln
Mehr zu machen als nötig und auch Risiken einzugehen – nicht nur einmal hat Obst dieses Prinzip beherzigt. Zum Beispiel, als er sich als Lebenszeit-Beamter in Mölln selbst entlassen hat, um nach Reinbek zu wechseln. Sein Vater, ein Finanzbeamter, hatte dafür wenig Verständnis. Den Vertrag im St. Adolf-Stift unterschrieb der in Burgdorf bei Hannover aufgewachsene Obst übrigens drei Wochen, nachdem er aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden war. In seiner Heimat engagierte sich der Klinikchef schon in jungen Jahren politisch für die CDU, nach dem Abitur auf einem Wirtschaftsgymnasium schlug er die gehobene Beamtenlaufbahn ein und machte eine Ausbildung zum Regierungsinspektor. Bei der Stadt Mölln erwarb er sich schnell Meriten, konzipierte eine Schule für Lernbehinderte und das Gymnasium. In der Verwaltung lernte Obst auch seine Frau Helga kennen, die auf dem Standesamt arbeitete. Ihr Sohn Matthias ist inzwischen 26 und studiert Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt.
Stressige Zeiten als Reinbeker Klinikchef und Möllner Bürgervorsteher
Die Obsts sind Mölln treu geblieben, bewohnen dort zur Miete ein Haus. Der Erwerb eines Eigenheimes sei kein Thema. „Weil ich handwerklich nicht begabt bin“, sagt der Mann, der sich vor zehn Jahren einer ersten und vor drei einer weiteren Heroperation unterziehen musste. Die Zeit, in der er parallel Reinbeker Klinikchef und Möllner Bürgervorsteher gewesen ist, beschreibt Obst als stressig. Zumal er weitere Ehrenämter hatte, zum Beispiel jenes des Landesvorsitzenden der schleswig-holsteinischen Krankenhausdirektoren.
Obst will seine Freiheit ohne Terminkalender genießen
In seiner Freizeit schrieb Obst eine Chronik über Mölln, einen Wanderführer und stadtgeschichtliche Hefte. Sein Hobby ist Geschichte, nahezu alle wichtigen Stätten des deutschen Hochmittelalters hat er bereist. Strandurlaub ist seine Sache nicht. Nach dem Abtritt in Reinbek sind Einzelprojekte wie Aufsätze, Ausstellungen und Tagesexkursionen in den Bereichen Kunst, Kultur und Gesichte geplant. Ein Amt in einem Verein wird er nicht übernehmen. Obst: „Ich möchte die Freiheit genießen, ohne Terminkalender und Verpflichtungen diesen schönen Dingen des Lebens nachzugehen.“
Er verlasse die Reinbeker Klinik mit zwei strahlenden Augen. Dass ihm die Menschen dort fehlen werden, daraus macht Obst keinen Hehl: „Ich war nie derjenige, der den Erfolg herbeigeführt hat.“ Es sei immer eine Mannschaftsleistung gewesen. Er selbst verstehe sich als eine Art Trainer, der nur die Richtung vorgegeben habe.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Stormarn