Serie „Bank-Geheimnisse“: Wir treffen Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Hans Helmut Enk, Reinbeker Politiker mit poetischer Ader

Reinbek. Es kann immer und überall passieren. Beim Einkaufen, im Flugzeug, auf der Toilette oder auch während einer Sitzung im Stormarner Kreistag in Bad Oldesloe. Dann schießt Hans Helmut Enk eine Idee durch den Kopf, die er schnell zu Papier bringen muss. Alternativ benutzt er auch Servietten oder einen Bierdeckel. Je nachdem, was gerade greifbar ist. Reinbeks CDU-Fraktionsvorsitzender und Erster stellvertretender Bürgermeister schmiedet nicht nur politische Allianzen, sondern auch Verse. Und das nicht zu knapp. 1600 Gedichte in 18 Bänden hat er seit 1998 veröffentlicht – und dabei eine Fangemeinde um sich geschart.

Als er davon erzählt, beginnt es in Enk schon wieder zu Arbeiten. Der 79-Jährige, der am Ostersonntag runden Geburtstag feiert, sitzt auf einer Bank am Reinbeker Schlossteich. Vor ihm streifen ein Dutzend Enten durchs Wasser, die Sonne strahlt, wenige Meter weiter spielt eine Mutter mit ihren zwei Kindern. Es sind auch solche Banalitäten, die ihn inspirieren. Er greift die Dinge spontan auf. „Das könnte etwas werden“, sagt der Feingeist. Notizen macht er sich in diesem Fall ausnahmsweise nicht, obwohl es in seinen Fingern kitzelt. Womöglich wird er die Zeilen am gleichen Tag noch in seinen Computer tippen. So wie er es eigentlich immer macht. Ob sie zur Veröffentlichung taugen, entscheidet Enk später.

Das Spektrum seiner geistigen Ergüsse ist breitgefächert. Es geht um die Beziehung zwischen Mann und Frau, die Ehe, philosophische Ich-Betrachtungen, Weltkritik und menschliche Schwächen. Auch Liebesgedichte schreibt er gerne. An seine Frau Ilona, mit der Enk seit 25 Jahren verheiratet ist. Zum Beispiel „Ebbe und Flut“. Dort heißt es: „Lass mich die Brandung Deines Meeres, die Tide Deines Lebens sein. Ich will liebkosen Deine Küste, bedecken Ufer, Deich und Priel. Halt still, wenn ich mich allzu brüste im wellenwilden Wechselspiel. Gib Einlass mir in Deinen Flüssen, verwehre mir nicht meine Flut.“

Seine Gedichtbände, die bis zu 1000 Leser haben, sind mit „Stuhlgang der Seele“, „Erreg(tion)en“, „Fadenschein“ oder „Twittersplitter“ betitelt. In Büchereien gibt es sie nicht zu kaufen. Enk verschenkt die Werke an Freunde und Interessierte. Zu Beginn in gedruckter Form, dann per CD-ROM und jetzt per E-Mail. Es gab bereits Anfragen von Verlagen, doch der Politiker mit der spitzen Feder lehnte ab. Denn ein Bestandteil der Zusammenarbeit wären Autorenlesungen in ganz Deutschland gewesen. „Doch dazu habe ich überhaupt keine Zeit.“

Zwar hat der bekennende Workaholic 2010 seine berufliche Laufbahn beendet, investiert aber bis zu 40 Stunden pro Woche in die politische Arbeit. Er ist Verwaltungsrat im IT-Verbund Stormarn, Mitglied der Gesellschafterversammlung beim e-Werk Sachsenwald, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Stormarner CDU im Kreistag, Aufsichtsrat der Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn (WAS) und dazu ehrenamtlicher Richter am Landesverwaltungsgericht.

Enk sagt von sich selbst, er habe einen großen Wortschatz. „Nur das Nein kommt darin nicht vor.“ Eigentlich wollte er schon vor zehn Jahren mit der Politik Schluss machen. Die Bitten von Parteikollegen, doch weiterzumachen, konnte er bisher nicht abschlagen. Deshalb engagiert sich der ehemalige selbstständige Unternehmensberater noch immer – übrigens seit 55 Jahren. Bereits im Alter von 25 wurde er Stadtrat in Geesthacht und damit der jüngste in Schleswig-Holstein.

Der ehrenamtlichen Tätigkeit geht er mit Leib und Seele nach. Daraus macht Enk keinen Hehl. Seine eigentliche Liebe gehört jedoch der Lyrik. Seit er 14 ist, schreibt der studierte Volkswirt Gedichte. Das Know-how hat er sich selbst beigebracht, wie so vieles in seinem Leben. Enk sagt, er sei „Autodidakt“. Das liegt in seiner Kindheit begründet. Er wächst bei seinen Großeltern auf, lebt in Gera, Plauen, Berlin, später in Warschau, weil sein Großvater einen hohen Posten bei der Reichsbahn hat und versetzt wird. Zur Schule geht er dort nicht. Enk: „Meine Oma hat mich das Nötigste gelehrt.“ Im Alter von neun Jahren wird Enk, wie er sagt, „von der russischen Armee einkassiert“. Mit ihr zieht er als Zivilgefangener weiter Richtung Westen, muss für die Soldaten unter anderem Kartoffeln schälen.

Dreimal versucht er auszubüchsen, dreimal wird er geschnappt. Der vierte Versuch gelingt. Er schlägt sich allein bis nach Bayern durch, seine Beine haben Erfrierungen zweiten Grades. Der Hunger ist sein stetiger Begleiter. „Durch die Flucht weiß ich genau, welche Rinde man im Wald essen kann.“ Im ostwestfälischen Minden findet er einen Onkel, später die Großmutter. Mit ihm überleben nur drei von 22 Familienmitgliedern den Zweiten Weltkrieg.

Erst als Zwölfjähriger besucht Enk eine Schule, durchläuft sie im Eiltempo. Sechs Wochen benötigt er für die 1. Klasse, weitere vier für die 2. Klasse. Es bleibt wenig Zeit, sich zu besinnen. Die Kindheit ist alles andere als unbeschwert. „Man hat mir einen Teil der Kindheit und Jugend geklaut. Ein Schicksal, das viele Menschen meiner Generation teilen.“

Nach der Schule startet Enk beruflich durch: Lehre als Industriekaufmann bei Melitta, Abitur, Studium der Volkswirtschaft in Köln. Mit 24 Jahren ist er Direktionsassistent, wenig später Prokurist. Er arbeitet für diverse Unternehmen in Führungspositionen, zum Beispiel für den Automobilhersteller Karmann. Auch im Sport ruft Enk sein Potenzial ab, spielt in jungen Jahren höherklassig Feldhandball bei Grün-Weiß Dankersen.

In dieser Zeit schreibt er Sportberichte und zeichnet Karikaturen für eine Mindener Zeitung, später Fachbücher. Doch seine künstlerische Ader ist vielfältiger: Zeichnen, Tonarbeiten und die Holzschnitzerei – auch das sind seine Hobbys. Inzwischen kann Enk sogar programmieren. Die Wahlkampf-Flyer für seine CDU bastelt er am heimischen PC. „Gebrauchsanleitungen kann ich bis heute nicht lesen, aber irgendwie friemele ich mir die Sachen zurecht“, sagt der Politiker.

Derzeit arbeitet der Poet an seinem 19. Band. Ein Titel ist bereits gefunden: „Spätlese“. Es geht um ihn selbst. Wann der Band veröffentlicht wird? „Schwer zu sagen, derzeit habe ich ein Loch.“ Sechs Silben pro Zeile, mehr sollten es nicht sein. Lyrik heißt für Enk, kurz und prägnant zu schreiben. Er kann aber auch anders. Ein 96 Seiten umfassender Krimi liegt in der Schublade. Die Hauptrolle darin spielt der Kommissar Helmut Hansen aus den Vierlanden. Er steht kurz vor der Pension, findet eine Leiche, verschweigt es aber, um keine Arbeit zu haben. Enk sagt, er habe einfach drauflos geschrieben. Mit dem Ergebnis ist er nicht glücklich. „In drei Jahren unternehme ich vielleicht einen neuen Versuch.“ Das ist 2018, dann ist der Reinbeker 83 Jahre und verabschiedet sich aus der Politik. „Das steht fest.“ Genauso, dass er von der Lyrik nie loslassen wird.