Oldesloer nutzt Formfehler in Darlehensverträgen

Bad Oldesloe. Martin Bittner hat den Darlehensvertrag für sein Haus in der Aktentasche, als er zum ersten Mal die Kanzlei des Oldesloer Rechtsanwalts Amadeus Greiff betritt. Es ist Oktober 2014, als der 52 Jahre alte Lübecker gehört hat, dass mit diesem Vertrag etwas nicht stimmen könnte. Dass er ihn deshalb womöglich widerrufen kann. Und dass Greiff ein Jurist ist, der sich gern – und erfolgreich – mit Banken streitet. Knapp ein halbes Jahr später weiß Bittner: Dieser Besuch hat sich für ihn gelohnt.

Und nicht nur für ihn. „In vielen Darlehensverträgen, die in den Jahren 2002 bis 2009 abgeschlossen worden sind, haben sich kleine, aber feine Fehler eingeschlichen“, sagt Greiff. Diese Verträge können unter Umständen widerrufen werden. Das Feine daran: Die Zinsen sind inzwischen viel niedriger, das spart bares Geld. Greiff hat im vergangenen Jahr 250 Verträge überprüft. „50 Prozent davon sind fehlerhaft gewesen.“ Auch der von Martin Bittner, der 2007 ein Darlehen von 200.000Euro aufgenommen hat, um seinen Neubau zu finanzieren.

Doch wieso kann jemand einen Vertrag widerrufen, den er doch selbst abgeschlossen hat? Ein Widerrufsrecht gilt eigentlich nur zwei Wochen. Den Verbraucherzentralen aber ist aufgefallen, dass es zwischen 2002 und 2009 vermehrt vorgekommen ist, dass die Widerrufsbelehrung nicht konkret genug verfasst worden ist. „Vor allem der Beginn der Frist des Widerrufsrechts muss eindeutig formuliert werden, genau wie die Rechtsfolgen, wenn man einen Widerruf einlegt“, erklärt Rechtsanwalt Greiff. Martin Bittner ist ein gutes Beispiel. In seinem Vertrag steht: „Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen (einem Monat) ohne Angabe von Gründen in Textform widerrufen.“ Greiff: „Diese Formulierung ist undeutlich und verwirrt den Kunden. Es wird nicht eindeutig klar, wann die Frist beginnt.“ Ein kleiner Fehler der Bank, ein großer Glücksfall für ihren Kunden.

Bittners und Greiffs Reaktion: ein Widerruf und die Forderung einer Neuberechnung der Zinsen sogar für die Vergangenheit. Das ist nämlich möglich. Denn wenn eine Belehrung falsch verfasst wird, tritt die Widerrufsfrist nicht in Kraft, der Vertrag kann somit auch nach Jahren widerrufen werden. Und: Bei Vertragsabschluss handelt man mit der Bank eine feste Zinsdauer aus, die beträgt häufig zehn Jahre. Diese Zinsdauer entfällt mit der fehlerhaften Belehrung. So kann sich der Kunde „die Zinsen für die Vergangenheit neu berechnen lassen und für die Zukunft erreichen, nur noch die heutigen Zinsen zu zahlen“, so Greiff.

Das lohne sich im Moment deutlich: Während die Zinsen bei Verträgen, die vor 2009 abgeschlossen wurden, noch bei rund fünf Prozent lagen (bei einem Darlehen von 200.000 Euro sind das für zehn Jahre 10.000 Euro pro Jahr), sind es heute nur noch etwa anderthalb Prozent (das wären bei einem Darlehen von 200.000 Euro für zehn Jahre 3000 Euro pro Jahr). „Solch ein Unterschied macht sich schon sehr bemerkbar“, sagt der Rechtsanwalt.

Bittner und sein Anwalt legten es nicht sofort auf einen Gerichtsprozess an, sondern schlugen zunächst eine außergerichtliche Verhandlung vor. Die Bank willigte ein. „Ich war schon verwundert, dass die Sache so schnell vonstatten ging. Denn bereits im Dezember haben wir uns geeinigt“, sagt Bittner. „Meine Familie war natürlich erleichtert, dass es nicht vor Gericht ausgetragen wurde. Das ist ja immer ein finanzielles Risiko.“ Denn die Gerichtskosten hätte Bittner vorstrecken müssen, da eine Rechtsschutzversicherung bei einem Widerruf nur beim Kauf einer gebrauchten Immobilie greift und bei einem Neubau, wie in Bittners Fall, nicht.

Genau hier sieht die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein (SH) ein Problem. „Wegen der hohen Streitwerte sind die Anwaltskosten im Falle eines Prozesses sehr hoch, was ein finanzielles Risiko für den Verbraucher bedeutet“, sagt Michael Herte, Referent für Finanzdienstleistungen bei der Verbraucherzentrale SH. Denn es sei nicht sicher, dass ein Gerichtsprozess zugunsten des Verbrauchers ausgehe. „Die Rechtsprechung der einzelnen Landgerichte und Oberlandesgerichte ist uneinheitlich, für die aktuellen Probleme fehlt noch ein klares Urteil des Bundesgerichtshofs, auf das sich die Bankkunden berufen könnten“, sagt Michael Herte.

Auch sei nicht immer sicher, ob der Bankkunde einen Folgekredit bei seiner oder einer anderen Bank bekomme. „Die Bonität des Kunden kann sich seit dem ursprünglichen Vertragsschluss so verändert haben, dass der Kunde für die Banken unattraktiv geworden ist.“ In solch einem Fall müsste der Kunde den Rest des Kredites innerhalb von 30 Tagen in einer Summe zurückzahlen. „Ein weiteres finanzielles Risiko also.“

Aus diesem Grund rät der Verbraucherschützer eher dazu, nach einer ausgiebigen Prüfung und Erläuterung des Darlehensvertrages durch die Verbraucherzentrale zunächst ohne einen Anwalt mit der Bank zu verhandeln, um einen wirtschaftlich sinnvollen Kompromiss zu erzielen. „Damit sind die Bankkunden häufig erfolgreicher als mit der maximalen Forderung nach einer rückwirkenden Vertragsaufhebung“, sagt Herte.

Das bestätigt auch die Verbraucherzentrale Hamburg, die diese fehlerhaften Widerrufsbelehrungen einst aufgedeckt hat. „In den Prozessen sind Banken immer öfter erfolgreich“, sagt der Hamburger Verbraucherschützer Christian Schmid-Burgk. In der Hansestadt rate die Verbraucherzentrale dazu, anwaltlichen Rat hinzuzuziehen, um zu prüfen, ob ein Rechtsstreit sinnvoll ist. „Manche Bankkunden regeln es aber auch alleine mit der Bank, nachdem wir geprüft und beraten haben – und das durchaus erfolgreich.“

Anwalt Greiff rät Vertragsinhabern ebenfalls, nur dann zu widerrufen, wenn sie sich auch eindeutig im Recht wähnen. „Die Verbraucherzentrale führt eine Vorprüfung durch. Dann kann jeder entscheiden, ob er einen Anwalt einschalten möchte oder nicht“, sagt Amadeus Greiff. Denn dieser Widerruf kann ein kleiner Kampf mit der Bank werden, manchmal auch das Ende der Geschäftsbeziehung zu dieser Bank bedeuten, so wie bei Martin Bittner. Am Ende haben sich die Strapazen aber gelohnt, und er hat rund 16.000 Euro gespart.

Sobald der Widerruf eingelegt ist, ist der Vertrag nicht mehr gültig. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: „Entweder man verhandelt ein neues Darlehen bei derselben Bank, das ist häufig die beste Lösung. Wenn es jedoch zu keiner Einigung kommt, muss man sich eine neue Bank suchen“, so Greiff. Oft neigen die Banken am Anfang zum Widersprechen, doch in vielen Fällen von Greiff konnte man sich dann doch mit der Bank einigen – mit meist sehr großen Zinsvorteilen für die Kunden.

Solch eine Vorprüfung und Widerruf lohnt sich jedoch nur bei Verträgen, die bis 2010 abgeschlossen wurden. Denn seitdem gibt es kaum noch fehlerhafte Verträge. Amadeus Greiff: „Die Deadline der Zinsbindung ist somit 2020. Und wer weiß, wie sich bis dahin die Zinsen entwickeln.“