Marianne Lentz stellt in Hoisdorf Poesiealben aus. Die, sagt sie, können, was das Internet niemals können wird

Hoisdorf. Marianne Lentz blättert durch die Seiten ihres alten Poesiealbums. In Erinnerungen schwelgend liest sie Verse und Reime, die ihre Freundinnen vor rund 60 Jahren an sie gerichtet haben. Hab ein Lied auf den Lippen, verlier nie den Mut, hab Sonne im Herzen und alles wird gut, schrieb ihr etwa eine damalige Klassenkameradin im Jahr 1954. „Zu dieser Zeit waren Poesiealben vorwiegend Mädchensache“, sagt die 73-jährige.

Die Museumspädagogin hat eine Ausstellung vorbereitet, in der sie die Geschichte des Poesiealbums darstellt. Angefangen mit den Stammbüchern des Adels im 18. Jahrhundert über vorgefertigte Freundschaftsbücher, die vor etwa 20 Jahren aufkamen, bis hin zur heutigen Zeit, in der das Poesiealbum überwiegend durch Facebook – ein soziales Netzwerk im Internet – ersetzt worden ist, dokumentiert Lentz’ Ausstellung auch den Wandel der Gesellschaft.

Die Idee zu der Schau, die Ende dieser Woche in Hoisdorf eröffnet wird, kam der gelernten Völkerkundlerin, als ihr das alte Poesiealbum ihres Großvaters in die Hände fiel. „Ich interessierte mich schon immer für Geschichte“, sagt Lentz, die ehrenamtlich im Hoisdorfer Museum arbeitet. Schon im vergangenen Jahr hatte sie dort den Wandel des Kinderspielzeuges vorgestellt. „Man lernt unglaublich viel dazu, wenn man eine eigene Ausstellung vorbereitet.“

Das älteste Album in der Ausstellung ist aus dem Jahr 1794

Anfang dieses Jahres fragte Lentz Verwandte, Freunde und Bekannte nach alten Poesiealben. „Die Resonanz war großartig. Viele stellten mir ihre Alben zur Verfügung“, sagt die Lütjenseerin. „Allerdings bestanden alle darauf, ihre Erinnerungsstücke nach der Ausstellung zurückzubekommen.“ Zusätzlich nützlich bei der Beschaffung der Alben erwies sich Lentz’ Tätigkeit als Museumspädagogin in Hamburg. So erhielt sie auch von einigen Museumsmitarbeitern Poesiealben.

Außerdem stellten ihr die Heimatmuseen in Bad Oldesloe und Bargteheide alte Poesiealben als Leihgabe für ihre Ausstellung zur Verfügung. Dadurch entstand nach und nach eine große und geschichtsträchtige Sammlung. „Die Alben sind teilweise weitaus älter als 200 Jahre“, sagt Marianne Lentz.

Zusammen mit ihrem Mann positioniert sie die letzten Alben in der Vitrine. Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut. Angefangen mit dem ältesten Poesiealbum aus dem Jahr 1794 findet in dem großen Glaskasten jede Zeitepoche ihren eigenen Bereich. „Eigentlich reicht die Geschichte der Poesiealben noch viel weiter zurück“, sagt Lentz, während sie als zusätzliche Dekoration einen alten Federkiel neben einem der Alben ausrichtet. „Schon vor dem 30-jährigen Krieg wiesen Ritter ihre adlige Herkunft mit sogenannten Stammbüchern nach.“

Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Sprüche christlich und fromm

Lentz erklärt weiter: „Nach dem 30-jährigen Krieg lag der Adel danieder, und der bürgerliche Stand gewann mehr und mehr an Einfluss. Fortan führten auch Studenten, Gelehrte, Professoren, Pastoren und Handelsherren ein Stammbuch. Wenn sich wichtige Persönlichkeiten in dem Stammbuch eintrugen, konnte das dazu beitragen, erfolgreich in der Gesellschaftsschicht Fuß zu fassen.“ Ab 1850 sei das Stammbuch dann aber mehr und mehr zur Frauensache geworden und habe sich letztendlich zu dem uns bekannten Poesiealbum gewandelt. Und zu diesem Zeitpunkt setzt die Ausstellung ein.

Die Sitte der Poesiealben verbreitete sich Ende des 19. Jahrhunderts auch bei der ländlichen Bevölkerung und im Arbeitermilieu. „Die Alben in dieser Zeit wurden recht aufwendig gebunden und mit Gold- oder Silberprägung versehen“, berichtet Lentz und zeigt auf den Teil der Vitrine, in dem sich edel anmutende Büchlein befinden, die mit Oblaten verziert sind. „Die Sprüche waren christlich und fromm.“

Bei ihren Alben aus dieser Zeit falle nur ein Spruch aus der Reihe, sagt Lentz, nimmt sich eines der Alben heraus und liest laut vor: Lieben, hoffen, fürchten, zittern, hoffen, zagen bis ins Mark, kann das Leben wohl verbittern, aber ohne sie wär’s Quark.

Doch nicht in jeder Zeitepoche griffen die Menschen auf amüsante Sprüche zurück. „Aus der Zeit des Nationalsozialismus liegt uns genau ein Album vor“, sagt Lenz. „Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Zuge der Entnazifizierung fast alle Zeugnisse dieser Zeit vernichtet. Die Eintragungen in diesem Album sind eher bedrückend und allesamt mit Hitlergruß unterzeichnet. Auch das ist ein Teil der Geschichte.“

Marianne Lentz geht einige Schritte weiter, schiebt das Glas einer Vitrine langsam zurück, hinter der sich die Bücher aus der Zeit des Wiederaufbaus, 1945 bis 1965 befinden, und nimmt eines der Alben mit großer Vorsicht heraus. Sie lächelt. „Das ist meines“, sagt sie und blättert es behutsam durch. „Zu dieser Zeit malte man erstmals farbige Bilder in die Alben und schrieb dazu einen Spruch. Es ging dabei vor allem um Themen wie Fleiß, Mutterliebe, Mut und Vertrauen.“

In einem anderen Album aus der selben Zeit jedoch steht ausnahmsweise ein politischer Spruch: Verachte das Übermenschentum, denn es will die Erde mit brutaler Gewalt unterjochen, schrieb ein Großvater, den Blick in die jüngere Vergangenheit gerichtet, in das Poesiealbum seiner Enkelin.

Der letzte Teil der Ausstellung schließlich widmet sich der Internetseite Facebook. „Ich habe nichts gegen Facebook“, sagt Lentz, „aber Bücher und Papier können etwas, das das Internet nie können wird, nämlich den Geist einer Zeit festhalten.“

Die Ausstellung „Rosen, Tulpen, Nelken ... vom Poesiealbum bis Facebook“ wird am Sonnabend,7. März, um 14.30 Uhr in Hoisdorf im Stormarnschen Dorfmuseum (Sprenger Weg 1), eröffnet. Zu sehen dienstags von 9 bis 12, sonnabends von 14 bis 17 Uhr und nach Anmeldung: Telefon 04107/4556 u. 4435.