In Delingsdorf reden Computerexperten, Unternehmer und Grünen-Politiker über Folgen der Datensammlung im Internet

Delingsdorf. Die Zukunft vorhersagen können, das wär’s doch: Geschäftsleute würden die Umsätze ihres Lebens machen, Einbrüche könnten im Vorfeld verhindert werden, lästige Konkurrenz einfach ausgeschaltet. Was wie ein ferner Wunschtraum klingt, ist in Teilen allerdings schon der Fall. Fortschreitende Internetnutzung, Digitalisierung und Datenauswertung machen es möglich.

Welche Gefahren das mit sich bringt, das hat der Südstormarner Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Grüne) jetzt mit Unternehmern aus Stormarn und Umgebung diskutiert. Der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft (BVMW) hatte den Innenexperten, der auch Obmann der Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss ist, in eine Runde mit 25 Verbandsmitgliedern ins Restaurant Glantz & Gloria nach Delingsdorf eingeladen.

„Die Daten sind das Rohöl des 21.Jahrhunderts“, sagt Konstantin von Notz. Und das sprudelt: Seit Jahrzehnten sammeln Internetdienste unsere Daten. So speichert die Suchmaschine Google jede noch so kleine Anfrage. Der Versandhändler Amazon verfolgt jeden Klick seiner Besucher. Das soziale Netzwerk Facebook wertet laut von Notz nicht nur die Aktivitäten seiner Mitglieder aus, sondern legt weltweit Profile über alle Internetsurfer an und speichert deren IP-Adresse. Voraussetzung ist der Besuch einer Internetseite, die den Like-Button von Facebook integriert hat.

Seit den jüngsten Änderungen der Geschäftsbedingungen behalte sich Facebook sogar das Recht vor, an Smartphones das Mikrofon anzustellen, sofern sie die Facebook-App nutzen. Und sogar Fernseher gehen mittlerweile zum Lauschangriff über: So wird in der Betriebsanleitung von Samsung-Fernsehern mit Sprachsteuerung davor gewarnt, persönliche und intime Gespräche in der Nähe des Geräts zu führen, weil diese aufgezeichnet und an Dritte weitergegeben würden.

Der Grund: Aus den riesigen Datenmengen lassen sich durch algorithmische Berechnungen Vorhersagen erstellen: Wie tickt der Mensch, wie lebt er, wie viel Geld hat er, welche Vorlieben, welche Probleme? Nicht nur Werbung kann so perfekt auf den Kunden zugeschnitten werden. Menschen werden damit auch bestimmten Risikogruppen zugeordnet.

Und das hat Konsequenzen. „Wenn jemand immer Snowboard-Fotos auf Facebook postet, wird vielleicht irgendwann seine Krankenversicherung teurer“, sagt von Notz. Andere bekommen einen bestimmten Job nicht, weil ein digitales Gutachten, ein sogenannter Background-Check, dagegenspricht. Schon heute werde teils die Kreditwürdigkeit von Menschen so berechnet.

Dass Algorithmen die Zukunft vorhersagen können, bestätigt auch Thomas Reimers von der Hamburger Firma Protonet, einer der Teilnehmer der Diskussionsrunde. „Ein Kreditkartenkonzern weiß im Schnitt schon fünf Jahre vor Ihnen selbst, dass Sie sich scheiden lassen werden“, sagt Reimers. „Allein aufgrund der Berechnungen Ihrer Daten.“ Mit der Materie ist der Mann bestens vertraut. Sein Unternehmen baut Server für kleine Büros, die besonders sicher sein sollen.

„Viele gehen sorglos mit ihren Daten um“, sagt Reimers. Doch selbst wenn in den Datenbanken kein Name oder die Adresse dabei stehe: „Sie müssen nur zwei oder drei Datensätze übereinander legen und können aus Millionen von Usern genau den einen herausfiltern. Das ist überhaupt kein Problem, den zu identifizieren“, so Reimers. Das bestätigt auch Björn Birr von Bismarck, Geschäftsführer der Lübecker Agentur für Krisenmanagement Oryxx: „Spannend wird es, wenn Sie die Möglichkeit haben, über irgendwelche Wege an jemanden zu gelangen, der die Schnittmenge aller Datenbanken hat.“

Das kann schnell unangenehm werden oder gar problematisch, wenn plötzlich intimste Details aus dem Privatleben öffentlich werden. Doch es gibt noch eine größere Gefahr: Dass Menschen künftig nur noch aufgrund der Vorhersage ihres Verhaltens beurteilt werden – und nicht danach, was sie tun oder getan haben. „Eigentlich könnte die Politik solche Datensammlungen verbieten“, sagt der Grünen-Politiker von Notz. „Aber es gibt eine Wirtschaft, und dazu zählt auch die amerikanische, die macht eine unglaubliche Lobbyarbeit in Deutschland.“

Es sei zudem ein Problem, dass die Technik in einer unglaublichen Geschwindigkeit voranschreite. „Die Politik kommt da mit der Problemerfassung gar nicht mehr mit“, sagt von Notz. Dennoch glaubt er an eine Lösung. Allerdings müsse mehr politischer Druck entstehen, damit es zu Veränderungen komme. „Dann wird es auch Gesetze geben.“ Es sei erschreckend, was alles mit persönlichen Daten gemacht werden könne – auch gegen den eigenen Willen. „Wir brauchen dringend Diskussionen darüber, was Dienste wie Facebook und Co dürfen und was nicht.“