Jutta Gujral erzählt in ihrem ersten Buch „Dungfeuer“ eine Familiengeschichte, die zwischen zwei Welten spielt

Bargteheide. Zwei Welten: Auf der einen Straßenseite der Osten, auf dem anderen der Westen. Zum Greifen nach und doch durch eine Mauer getrennt. Eine junge Frau steht am Fenster. Sie springt. Hinunter auf die Bernauer Straße. Hinein in die Freiheit und in die Arme von Deepak. Es ist der Beginn einer großen Liebe – und eines neuen Lebens zwischen zwei Welten: Deepak ist Inder. So wie der Mann der Bargteheider Autorin Jutta Gujral im wirklichen Leben.

„Ganz so spektakulär wie in meinem Buch war das bei mir allerdings nicht“, sagt die 68-Jährige. Dennoch spiegelt ihr Lächeln die Erinnerung an eine schicksalhafte Begegnung wider, die ihr Leben und ihre Sicht auf die Welt verändert und sie zu einem biografisch geprägten Roman inspiriert hat. „Ich habe meinen heutigen Mann tatsächlich in Berlin kennengelernt. Über meinen Bruder an der Uni.“

Seit 49 Jahren ist Darshan nun der Mann an ihrer Seite. Er kam aus Delhi nach Deutschland, um zu studieren. So wie der Protagonist ihrer dreiteiligen Familiensaga, die mit der dramatischen Flucht vor dem blutigen Glaubenskrieg im Punjab beginnt. 1947 entlässt die britische Kolonialmacht Indien in die Unabhängigkeit. Pakistan spaltet sich ab. Es herrscht politisches Chaos. Deepak flieht als Kind mit seiner Familie nach Dehli und geht später nach Deutschland, wo eine Deutsche in seine Arme und sein Leben springt.

Auch die gerlernte Übersetzerin Jutta Gujral wusste nicht, was die Heirat mit einem Inder bedeuten würde und was mit dem Wechsel zwischen den Kulturen auf sie zukommen könnte. Heute sagt sie: „Das hat mein Leben unglaublich bereichert.“

„Dungfeuer“ ist der Titel ihres Erstlingswerks. „Das hat etwas mit den Gerüchen, mit den Farben und Geräuschen Indiens zu tun. Überall werden die Sinne angesprochen“, sagt die Autorin. „Als ich von meinen ersten Reisen aus Indien zurückgekehrt bin, kam mir Deutschland fad vor.“ Das Dungfeuer brennt in indischen Dörfern. Als Kochstelle und Lebensmittelpunkt. In dem Terrakottagefäß wird getrockneter Rindermist verbrannt und Fladenbrot gebacken. „Das Chapati“, sagt Jutta Gujral. Kuhmist und Brot? „Das Brot schmeckt wunderbar“, sagt die Autorin, „nur der Geruch ist stechend.“

„Leben in zwei Welten“ ist der Untertitel ihres Buches, das sie ihren Kindern und ihrem „unvergleichlichen Ehemann“ gewidmet hat. Es ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch der Versuch, die religiös-philosophische Diskussion zwischen den Kulturen anzustoßen. „Der Dialog ist wichtig“, sagt die Autorin, die den Sohn ihres Romanhelden daher in den Ashram gehen lässt. In ein religiöses Meditationszentrum, um mit dem Guru zu sprechen – dem spirituellen Lehrer. Ashram heißt so viel wie „Ort der Anstrengung“. Und das passt. „Das Ziel des Gesprächs ist, westliche Einflüsse mit indischen Weisheiten zu verbinden“, sagt Jutta Gujral. Sie weiß, wie schwer das ist und wie unterschiedlich die Kulturen sind.

Als sie heiratete ging sie mit ihrem Zukünftigen vor ein deutsches Standesamt. Ein Behördenzimmer, eine nette Ansprache, Gäste, ein Fest. „In Indien hätten wir eine Woche gefeiert.“ Bei der Hochzeit der Schwester ihres Mannes hat sie das später miterlebt. „Es werden große Zelte aufgebaut, eines extra für die Köche.“ Denn die haben richtig zu tun. „Zur Hochzeit meiner Schwägerin kamen 300 Gäste. Und das ist üblich.“

Genauso, dass der Bräutigam auf einer weißen Stute einreitet. „Vor ihm ein kleiner Junge, als Symbol für Fruchtbarkeit. Und mit ihm sein bester Freund mit einem verzierten Dolch. Als Zeichen dafür, ihn zu beschützen“, sagt Gujral. „Der Dolch ist natürlich Attrappe.“ Alles andere ist echt und teuer. Stimmt die Mitgift nicht, ist das Leben von Ehefrauen und Schwiegertöchtern bedroht. Da brennt schon mal ein Sari, damit die Ehemänner mit einer neuen Heirat an eine weitere Mitgift gelangen: die sogenannten Sari-Morde.

„Das gibt es. Leider“, sagt Jutta Gujral. „Aber das sind kriminelle Handlungen, die nichts mit der indischen Kultur zu tun haben.“ Im Gegenteil. Der Zusammenhalt sei groß. Und dass das Familienoberhaupt alles entscheide, stimme auch nicht mehr. „Früher wurden Ehen vermittelt. Heute gibt es durchaus Liebesheiraten.“

Die Familie ihres Mannes habe sie sehr liebevoll aufgenommen. Die Bargteheiderin erinnert sich: „Beim ersten Besuch wurde ich von allen umringt. Alle wollten meine weichen Haare anfassen. Dann verschwand der Vater, kam wieder, steckte mir einen goldenen Ring an und sagte: Du gehörst jetzt zu unserer Familie. Ich wurde behandelt wie eine Prinzessin.“

Seit einem halben Jahrhundert wandelt die Bargteheiderin zwischen zwei Welten. Bei ihr Zuhause wird jeden Tag westliche Kultur mit indischen Weisheiten verbunden. Die Lieblingsweisheit ihres Mannes? Er überlegt. „Je mehr Früchte ein Baum trägt, um so geneigter sind seine Äste.“ Ein Sinnbild für das Reifen durch Wissen und für die Früchte bringende Demut vor Mensch und Natur.