Geflüchtet aus der Heimat, angekommen in einem fremden Land: Immer mehr Menschen in Stormarn teilen dieses Schicksal. Ehrenamtler helfen ihnen vielerorts, sich so gut wie möglich zurechtzufinden. Fünf Beispiele

Großhansdorf . Auf dem Stuhl klebt ein kleiner gelber Zettel. „Stuhl“, sagt Artur Avagyan sichtlich stolz. Der 34-Jährige führt in die Küche. Noch mehr gelbe Zettel. Alle hübsch säuberlich auf den Kühlschrank geklebt. Der Armenier liest vor: „Obst, Tomate, süß, scharf.“ Und auch der Mülleimer in der Ecke ist beschriftet. Damit es schneller geht mit dem Lernen.

Den kleinen Levon interessiert das nicht. Der Zweijährige hat es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und sieht sich einen Zeichentrickfilm an. Das geht ohne Worte. Aber als Achim Keßler- Binder in die kleine Wohnung am Kortenkamp in Großhansdorf kommt, plappert er sofort los: „Achim-Opa“, ruft er und schon turnt er auf dem Schoß des 76-Jährigen herum, als wenn er zur Familie gehören würde. Und irgendwie stimmt das auch.

20 Tage waren Artur Avagyan, seine Frau Marianna, ihr kleiner Levon und seine beiden Schwestern Elen, 10, und Anna, 7, im Auffanglager in Neumünster. Dann standen sie erwartungsvoll, unsicher und nervös vor dem Großhansdorfer Rathaus. Das war am 29. Juli. Schon am nächsten Tag war Achim Keßler-Binder da. „Wir mussten eine Schule für die Mädchen finden und eine Kindergruppe für Levon“, sagt der Ehrenamtler. „Ich habe die Avagyans bei den Anmeldungen begleitet.“ Und er hat die Familie unterrichtet. Keßler- Binder: „Es waren ja gerade Ferien. Also habe ich das gemacht.“ 20 Stunden Deutsch. „Das hat was gebracht.“

„Hallo, guten Tag. Wie geht es Ihnen. Ich heiße Elen“, kommt es blitzsauber, als die beiden Töchter aus der Schule nach Hause kommen. Nach Hause. Das ist jetzt ein Wohnzimmer mit einem Tisch, ein paar Stühlen und einem Sofa, das zum elterlichen Bett umgebaut wird. Nebenan ein Zimmer, in das genau drei Betten für die drei Kinder nebeneinander passen. Dazu ein Flur, ein Duschbad und eine Küche.

„Es ist schön. Großen Dank“, sagt Marianna Avagyan. Sie sieht blass aus. Es geht ihr gesundheitlich nicht gut. „Mein Herz“, sagt sie. „Aber die Ärzte meinen, es ist nichts. Nur die Nerven.“ Nur. Die 30-jährige Armenierin macht sich Sorgen um die Zukunft, um ihre Kinder. „Vor allem Anna fällt es schwer, hier zu leben. Sie sagt mir oft, sie will zurück. Die Große sagt nichts.“

Achim Keßler-Binder begleitet die Familie, wann immer es nötig ist. Auch zum Arzt. „Und einmal in der Woche komme ich sowieso regelmäßig vorbei“, sagt der gelernte Erzieher. Er ist einer von 16, die ihren Namen auf die Liste des neuen Freundeskreises Flüchtlinge Großhansdorf gesetzt haben.

Ohne die Ehrenamtler schafft es die Gemeinde nicht. Sie unterrichten die Familien in Deutsch, sie besorgen Fahrräder und reparieren sie, sie holen Tisch und Stühle ran, gehen mit den Asylbewerbern zum Arzt, ins Sozialkaufhaus und aufs Amt. Keßler-Binder: „Wir haben auch nach einer Schule für die beiden armenischen Mädchen gesucht. Hier am Ort ging das nicht.“ Nun besuchen Elen und Anne die Grundschule Am Schloss in Ahrensburg. Dort gibt es Integrationsklassen.

Artur und Marianna Avagyan denken nicht nur daran, wie es werden soll. Sie können auch nicht vergessen, was war. Und warum sie nach Deutschland gekommen sind. Ihr Mann war Personenschützer für einen Politiker. Deshalb wurden sie bedroht. Eine lange Reise liegt hinter ihnen. Zuerst ging es nach Moskau, dann nach Spanien. Und von dort mit dem Auto weiter. Jetzt sind sie in Deutschland. „Ein wunderschönes Land“, sagt Marianna Avagyan. Das Asylverfahren läuft noch nicht. Das kann Jahre dauern. „Schwer“ steht auf einem gelben Zettel, der auf der Tür im Wohnzimmer klebt.

Auf dem Sofa hat Achim-Opa den kleinen Levon in den Arm genommen. Die Mutter schaut beiden zu. „Wir nennen Achim auch Achim-Djan“, sagt Marianna Avagyan. „Djan, das ist bei uns das schönste Wort für Freund.“