Ursula Nölle und Marga Flader engagieren sich mit ihrem Oststeinbeker Verein seit Jahren für Bildungsangebote in dem Staat am Hindukusch

Oststeinbek. Marga Flader serviert Tee. Afghanischen natürlich. Seit die Oststeinbekerin vor 16 Jahren zum ersten Mal das karge, zu drei Vierteln aus Gebirgslandschaften bestehende Land besuchte, ist sie davon fasziniert. Mittlerweile war sie mehr als 20-mal dort. „Sobald ich die ersten Kamele sehe, fühle ich, dass ich angekommen bin“, sagt die 60-Jährige. Es ist jedoch nicht die reine Abenteuerlust, die Flader mindestens zwei Mal im Jahr nach Afghanistan treibt. Und auch als Urlaubsland bietet sich der seit Jahrzehnten kriegs- und krisengebeutelte Vielvölkerstaat nicht an. „Jeder Besuch dient dazu, die Entwicklung unserer laufenden Projekte mit eigenen Augen zu sehen und uns mit den Mitarbeitern vor Ort zu beraten.“

Flader ist Vorstandsvorsitzende des Vereins zur Unterstützung von Schulen in Afghanistan, kurz Afghanistan-Schulen. Zu den Projekten gehören in erster Linie eine Vielzahl von Bildungseinrichtungen, die mit finanzieller und tatkräftiger Hilfe des Vereins entstanden sind. „Seit 2002 konnten wir mehr als 50 Schulgebäude von afghanischen Fachkräften bauen oder renovieren lassen und dem Staat übergeben“, sagt Flader. Allein in Mazar-e Sharif, der viertgrößten Stadt Afghanistans, wurden bis 2013 sieben große Schulen für rund 12.000 Kinder errichtet.

Bildung sei der effektivste Weg, dem Land und seinen Einwohnern auf lange Sicht zu helfen, so Flader. „Die Kriege haben dazu geführt, dass eine ganze Generation von Afghanen keine Schulen besuchen konnte. Wir spüren regelrecht den Wissensdurst der Menschen, wenn wir uns mit ihnen unterhalten.“ Kommuniziert wird überwiegend auf Englisch, Verständigungsprobleme gibt es nicht.

Flader lebte 14 Jahre in London, bevor sie 1989 wieder in ihre Heimat nach Oststeinbek zurückkehrte. Dort zog sie mit ihrem Ehemann und den beiden Töchtern in eine Doppelhaushälfte. Es dauerte nicht lange, da kam sie mit ihrer direkten Nachbarin ins Gespräch. Ihr Name: Ursula Nölle. Eine Frau mit bewegtem Leben und einer großen Liebe zu Afghanistan. Die damals 65-Jährige hatte bereits 1984 einen gemeinnützigen Verein gegründet, der Schulen für afghanische Flüchtlinge im Nachbarland Pakistan unterstützt.

Den Kontakt zu den Menschen in Not bekam Nölle über ihre Tochter Tine, die in Pakistan Orientalistik studierte. Das Leid, vor allem aber auch die „schier unbändige Lernfreude der Kinder“ berührten die Oststeinbekerin sehr. Hier wollte sie helfen. Damit war für die fünffache Mutter eine neue Lebensaufgabe geboren. „Dabei war ich überhaupt nicht auf der Suche nach einer Beschäftigung“, schmunzelt die heute 90-Jährige.

Nölle rief weitere Schulprojekte ins Leben, bat unermüdlich um Spenden, richtete Nähstuben und Teppichknüpfwerkstätten ein. Bis heute lernen hier Mädchen und junge Frauen nicht nur, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, sondern auch lesen, schreiben und rechnen. 1988 startete Nölle mit ihren inzwischen zahlreichen afghanischen Freunden, Mitarbeitern und Unterstützern das erste große Schulprojekt in der alten Karawanenstadt Andkhoi im Nordwesten Afghanistans. Dorthin nahm sie 1998 ihre Nachbarin Flader mit, die zu diesem Zeitpunkt bereits dem Verein beigetreten war und als Schriftführerin fungierte.

„Bis dahin habe ich zwar auch viel Zeit in den Verein investiert“, sagt Flader. „Aber als ich mit eigenen Augen gesehen habe, was wir tatsächlich bewirken können, war ich schließlich restlos von unserer Arbeit überzeugt.“ Die gelernte Rechtsanwaltsgehilfin widmet sich seitdem ehrenamtlich und mit vollem Einsatz der Hilfe für Afghanistan. Mit Spendeneinnahmen von Stiftungen, Schulen und Privatpersonen sowie Unterstützern wie dem Auswärtigen Amt konnten Klassenräume erweitert, Brunnen und Wasserbecken gebaut, Kindergärten gegründet und Kleinhilfefonds eingerichtet werden. Im Laufe der vergangenen 13 Jahre sind die Schülerzahlen in Afghanistan von einer auf zehn Millionen gestiegen. Doch trotz dieser Fortschritte gibt es auch künftig mehr als genug zu tun. Flader: „Noch immer werden viele Kinder in Ruinen oder unter Zeltdächern unterrichtet. Außerdem brauchen wir nach wie vor gut ausgebildete Lehrkräfte.“

Wie bei jedem ihrer Besuche in Afghanistan hat sich Flader auch im vergangenen Oktober wieder mit den afghanischen Vereinsmitgliedern getroffen. Sie koordinieren die Aufgaben vor Ort. „Wir stehen aber auch sonst in ständigem Kontakt“, sagt die Vorstandsvorsitzende. Selbst Nölle, Jahrgang 1924, hat ihr Tablet immer auf Empfang. Sie erinnert sich: „Früher haben wir uns immer Briefe geschickt. Das hat oft ewig gedauert. Diese E-Mails sind schon eine feine Sache.“ Die Vereinsgründerin wird jeden Tag von den Mitarbeitern im Büro in Kabul auf dem Laufenden gehalten.

Für ihr Engagement hat Nölle diverse Auszeichnungen erhalten. Das Bundesverdienstkreuz bekam sie sogar zwei Mal verliehen. Das ehrt sie zwar, ist der gebürtigen Hamburgerin aber nicht so wichtig. Mehr als jeden noch so hochgelobten Preis wünscht sich die 90-Jährige nämlich, dass sie im kommenden Frühjahr noch einmal in ihr geliebtes Afghanistan reisen kann. „Im Januar werde ich operiert. Das ist in meinem Alter ja keine einfache Angelegenheit“, erzählt sie. „Aber der Chefarzt hat gesagt, er will mich auf jeden Fall erhalten.“ Damit sie sich weiter für die Menschen in Afghanistan einsetzen kann.