In dem mit 57 Einwohnern kleinsten Ort Stormarns gibt es keine Gemeindevertretung. Politik wird hier von allen Bürgern gemacht

Hohenfelde. Der Weg zur Gemeindeversammlung in Hohenfelde ist steinig. Und auch das Navi ist keine wirkliche Hilfe. Selbst nachdem das fast zugewucherte Ortsschild passiert ist, wirkt es, als wäre hier der Mittelpunkt von Nirgendwo. Seelenruhig läuft ein Fuchs über den Weg und da hinten verschwindet eine rot getigerte Katze im Knick. Es ist Mittwochabend, viertel vor acht, und dunkel. Stockdunkel. Am nordöstlichen Rand der Hahnheide liegt sie, die kleinste Gemeinde Stormarns. Sie hat eine Fläche von gerade einmal 1,63 Quadratkilometern und besteht aus zwei Straßen. Beide tragen denselben Namen, nämlich keinen. Die zwanzig Häuser sind nur durchnummeriert. Eigentlich ganz einfach, doch Navigationsgeräte lieben konkretere Angaben. Der wohlgemeinte Tipp, möglichst zügig zu wenden, muss mutig ignoriert werden. Wer stattdessen dem Licht folgt, erreicht schließlich sein Ziel: Hohenfelde, Haus 6.

Hohenfelde hat keinen Bäcker, keinen Schlachter, keine Apotheke. Aber das 1822 gegründete Dorf hat einen Landgasthof, in dem sich die Menschen seit fast 180 Jahren zum Feiern, Essen und Trinken treffen. Außerdem wird hier im Haus 6 Politik gemacht. Mindestens zweimal im Jahr findet in der urig eingerichteten Tenne des Gasthofs die Gemeindeversammlung statt, zu der jeder Hohenfelder über 16 Jahren eingeladen ist. Einen Gemeinderat gibt es nicht, in Stormarns kleinster und auch jüngster Gemeinde vertritt sich jeder selbst.

Es ist kurz vor 20 Uhr. Heinrich Stahmer, seit 2001 Bürgermeister von Hohenfelde, sitzt schon an seinem Platz. Vor ihm liegt die neue Satzung, die heute vorgestellt wird. Darin steht unter anderem, dass mindestens fünf Hohenfelder anwesend sein müssen, damit die Versammlung beschlussfähig ist. „Das kriegen wir wohl hin“, sagt Stahmer. Der 71-Jährige legt schon mal seinen Holzhammer bereit. Mit dem eröffnet und beschließt er jede Sitzung. „Und wenn zwischendurch mal zu viel gesabbelt wird, dann sorg’ ich damit für Ruhe.“ Während Birgit Williams, stellvertretende Bürgermeisterin, Europabeauftragte und Gasthof-Kellnerin in Personalunion die ersten Getränkebestellungen aufnimmt, trudeln weitere Hohenfelder ein. „Das wird auch langsam Zeit“, sagt der Bürgermeister und guckt streng. Getrennt voneinander nehmen die Herren links und die Damen rechts an der u-förmig aufgebauten Tafel Platz. Warum? „Das war schon immer so.“

Sechs Tagesordnungspunkte stehen auf dem Plan. Die Einwohnerfragestunde wird kurz abgehandelt. Keine Fragen. Zeit, zwischendurch Wichtiges zu klären: „Seit wann hast du denn eine Brille?“ „Ach, die brauch’ ich nur zum Lesen.“ Man kennt sich in Hohenfelde, hier sind alle Nachbarn. „Ruhe bitte! Jetzt kommt der Bericht des Bürgermeisters.“ Heinrich Stahmer blättert durch seine Unterlagen. „Frau Stahmer, wo haben Sie den Bericht gelassen?“ Die Angesprochene sitzt, wie es sich in Hohenfelde gehört, rechterhand vom Bürgermeister. Hier passt das ganz gut, denn Gertrud Stahmer ist nicht nur dessen Ehefrau sondern auch im übertragenen Sinn seine rechte Hand. Eigentlich wollte die heute 63-Jährige Ärztin werden. Doch die Liebe zu Heinrich verschlug sie vor über 45 Jahren von Hamburg-Eppendorf nach Hohenfelde. Gemeinsam mit ihrem Mann führte sie bis vor knapp drei Jahren den Gasthof, in dem sie heute nun als „inoffizielle Beraterin des Bürgermeisters“ tätig ist. Sie sagt: „Natürlich war es am Anfang eine Umstellung, mitten aus der Großstadt raus aufs Land zu ziehen. Aber hier im Haus war immer Leben, ich habe mich nie einsam gefühlt.“ Außerdem gab es von morgens bis abends einen Haufen Arbeit, denn neben der Gast- betrieben Stahmers noch eine Landwirtschaft.

„Die Straßenschäden wurden sofort repariert“, berichtet der Bürgermeister mittlerweile und lobt den zuständigen Bauarbeiter für die saubere Arbeit. Bernd Vokuhl, der in Haus 14 wohnt, erntet beifälliges Tischklopfen, als Bürgermeister Stahmer von dessen Engagement erzählt: „Die Ortsschilder waren beschmiert, und Bernd hat sie kurzerhand gereinigt.“ Es waren Hakenkreuze darauf gesprüht. Bernd Vokuhl: „Ich konnte mir das keinen Tag länger angucken.“ Das Geld für die Reinigungsmittel bekommt der 56-Jährige aus der Gemeindekasse wieder. Über die kann der Bürgermeister mit seinen Hohenfeldern bis zu einer Höhe von maximal 1000 Euro eigenständig verfügen. Alles, was teurer ist, ist mit dem Amt Trittau abzustimmen.

Die schuldenfreie Kleinstgemeinde ist sparsam. Auch im Diskutieren. Nach nur zehn Minuten ist schon Tagesordnungspunkt 4 erreicht: „Kenntnisnahme und Genehmigung von über- und außerplanmäßigen Ausgaben“. Als Mitglied des Finanzausschusses klärt Gertrud Stahmer auf: „Die Gemeinde hat für 285 Euro einen Elektrorasenmäher angeschafft.“ Ein Schnäppchen, die anwesenden 14 Hohenfelder freuen sich.

„Weiter geht’s!“ Heinrich Stahmer nimmt vorsorglich schon einmal den Hammer in die Hand. Erfahrungsgemäß würde es bei Punkt 5, „Anfragen und Mitteilungen“, nämlich immer etwas lauter. „Früher war das oft der Zeitpunkt, an dem manch einer schon viel Bier und Schnaps intus hatte und mit seiner Meinung nicht mehr hinterm Berg halten konnte“, erzählt er. Doch statt Hochprozentigem steht heut Alkoholfreies auf den Tischen Wer putzt die Knicks? Wer ist zuständig für das Beschneiden der Bäume ? Wer buddelt die Leitpfosten wieder ein? Nachdem die Aufgaben zur Zufriedenheit aller verteilt sind, diskutieren die Hohenfelder darüber, ob weiße Zaunelemente an den Ortseingängen Autofahrer vom Rasen abhalten könnten. Ganz Hohenfelde ist eine 30-er Zone, doch die wenigsten halten sich daran. „Wer hier fremd ist, merkt manchmal gar nicht, dass er sich schon mitten in einer Ortschaft befindet“, so ein Bürger. „Vielleicht sollten wir noch ein paar Häuser bauen?“ Alle lachen. Ernst nimmt den Vorschlag niemand, denn jeder der hier ist, lebt gern und ganz bewusst in Hohenfelde, der kleinsten Gemeinde Stormarns.