Staatsanwaltschaft ermittelt abermals gegen Präsidentin des Bundesverbands der Unfallopfer wegen Untreue

Lütjensee. Ihr Titel lautet Präsidentin, ihr Betätigungsfeld ist ein Verein mit dem Namen Bundesverband der Unfallopfer in Deutschland, und über ihr Ehrenamt hat die Präsidentin aus Lütjensee einmal in einem Interview gesagt: Sie sei eine Frau, die für die Rechte von Unfallopfern eintrete. Die Anwälten Tipps gebe. Die Krankenkassen berate. „Und ich bin eine Mutmacherin.“

Vor allem aber ist sie auch eine Frau, die in die Vereinskasse gegriffen, die Mitgliedsbeiträge und Spenden für private Zwecke ausgegeben hat. Die Staatsanwaltschaft Lübeck ermittelt unter dem Aktenzeichen 779 Js 35785/14 erneut, wie der Sprecher der Anklagebehörde, Günter Möller, auf Anfrage bestätigt. Es geht um gewerbsmäßige Untreue, und das nicht zum ersten Mal. Bereits im Februar ist Frau Präsidentin in einem Berufungsverfahren wegen 48 Taten, die in den Jahren 2007 und 2008 zu einem Schaden von gut 50.000 Euro geführt haben, zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden (wir berichteten). Das Urteil ist seit dem 7.Juni rechtskräftig. Günter Möller: „Die Frage ist jetzt, ob sie danach weitergemacht hat.“

„Ich werde oft für eine Juristin gehalten“, hat die Präsidentin einst im Interview gesagt, nicht ganz ohne Stolz. Wie echte Juristen über die Zahntechnikerin urteilen, ist zuletzt bei der Urteilsverkündung am 5. Februar zur Mittagszeit zu hören gewesen: „Nicht Sie waren für den Verein da. Ganz im Gegenteil: Das Vereinsvermögen war für Sie da.“ So hat es Claas Leplow formuliert, Vorsitzender der Kleinen Strafkammer am Landgericht Lübeck. „85Prozent, in einem Jahr sogar fast 100 Prozent der Einnahmen des Bundesverbands sind irgendwie in Ihrer Kasse gelandet.“

In Würzburg lebt ein Mann namens Anton Fleischer und beobachtet seit Kurzem sehr genau, was da im fernen Norden vor sich geht. Der 61-Jährige ist Mitglied des Bundesverbands der Unfallopfer. Der Jahresbeitrag liegt bei 80Euro. Fleischer empört sich: „Was hat die Frau mit dem Geld gemacht? Das ist doch eine einzige Schweinerei.“ Einmal, an jenem 5. Februar, ist Fleischer nach Lübeck gefahren, zur Urteilsverkündung. Da hat sie auf der Anklagebank gesessen, zierlich, für ihre 60 Jahre sehr mädchenhaft, halblange, braune Haare, die Lippen zu einem schmalen, geraden Strich zusammengekniffen.

Dass Frau Präsidentin die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns eingesehen hat, das ist nie über diese Lippen gekommen.

Für Anton Fleischer ist das ein enttäuschender Tag gewesen. Zum einen wegen des geringen Strafmaßes von einem Jahr und sechs Monaten sowie von acht Monaten. Zum anderen, weil nur Taten aus zwei Jahren zur Anklage gekommen und von 171 angeklagten Taten nur 48 abgeurteilt worden sind. „Die milde Strafe resultiert einzig aus dem Umstand, dass die verhandelten Taten schon so lange her sind“, hat Richter Leplow zur Begründung gesagt. „Die Zeit ist im Strafprozess zu einem wesentlichen Faktor geworden.“

Da hat sich Anton Fleischer geschworen, selbst aktiv zu werden. Ihn stört vor allem, dass der überwiegende Teil der Verbandsmitglieder bis heute ahnungslos sein dürfte.

Wie konnte das geschehen? Im Jahr zuvor war die Causa Präsidentin bereits in erster Instanz vor dem Amtsgericht in Ahrensburg verhandelt worden. Das Verfahren, das im Ergebnis zu Gefängnisstrafen von zwei Jahren und drei Monaten sowie von acht Monaten führte, hatte tiefe Einblicke in den Bundesverband der Unfallopfer in Deutschland und seine Struktur zugelassen. Die ist einfach beschrieben: Der Verein ist quasi eine One-Woman-Show, die Vorsitzende fungiert gleichzeitig als Geschäftsführerin und Kassenwartin. Einem Verein eigene Kontrollmechanismen existieren schlicht nicht. Ein Steuerprüfer des Finanzamtes Stormarn hatte es so formuliert: „Kassenprüfungen gab’s nicht, Mitgliederversammlungen gab’s nicht, und die Bücher trugen die Handschrift der Präsidentin.“ Er hatte „zahlreiche Fremdleistungen, die meines Erachtens die private Ebene der Familie betreffen, aber vom Bundesverband bezahlt worden sind“ entdeckt und den Fall schließlich zur Anzeige gebracht.

Diese Fremdleistungen, das waren unter anderem Handwerkerrechnungen, Schuhkäufe, Einkäufe in Parfümerien, im Tierfutterladen, auf dem Bio-Bauernhof, bei Penny, im Baumarkt. Hinzu kamen Dutzende von Abhebungen an Geldautomaten mit der vereinseigenen EC-Karte und offensichtliche Scheinrechungen über 2000 Euro monatlich, angeblich ausgestellt vom Ex-Ehemann der Präsidentin. Auch wenn es nicht Gegenstand der Anklage war: Frau Präsidentin gönnte sich einen Dienstwagen auf Kosten des Verbandes; ein Mini-Cabriolet im Wert von 33.000 Euro war ein Auto, das ihr gut zu Gesicht stand. Einen „Vorstandsbeschluss“ über die Anschaffung des Autos und das Honorar für ihren Ex ließ sie während des laufenden Gerichtsverfahrens von ihrer in dieser Angelegenheit vielleicht etwas blauäugigen Stellvertreterin unterzeichnen – um fünf Jahre rückdatiert.

Die Einschätzung des Richters Leplow dazu ein Jahr später: „Sie haben fingiert, manipuliert, verdeckt und verdunkelt. Ja: verdunkelt.“

Im Januar hat die Präsidentin in Hamburg eine Mitgliederversammlung abgehalten, die erste seit sieben Jahren. Es sollen weniger Menschen gekommen sein als laut Satzung für eine Beschlussfassung nötig sind. Die Präsidentin habe sich trotzdem wiederwählen lassen. Von einem Strafverfahren gegen sie sei keine Rede gewesen, und sie habe gesagt, dass sie selbst das Protokoll schreiben werde, sagt Fleischer.

Anton Fleischer und einige Mitstreiter haben inzwischen beim Amtsgericht Ahrensburg Klage gegen die Vorstandswahl eingereicht (Az.: 43 C 748/14). Bis zur Verhandlung gilt die Wahl für das Registergericht in Lübeck als nicht genehmigt, ist mithin der alte im Amt. So oder so: An der Spitze steht eine Frau, ihr Titel lautet Präsidentin.