15-Jähriger erschießt in Viljandi Lehrerin, die seit Jahrzehnten den Austausch mitorganisierte. Sie war auch bei Stormini

Ahrensburg/Viljandi. Mitten im Deutschunterricht richtet ein 15 Jahre alter Schüler einen Revolver auf seine Lehrerin. Mehrere Kugeln treffen die 56 Jahre alte Frau, die leblos zu Boden sinkt. Das Drama in Ahrensburgs Partnerstadt Viljandi dominiert seit der schrecklichen Bluttat am Montagnachmittag die Nachrichten in Estland.

Auch die gebürtige Estin Liilia Link, die in Ahrensburg lebt, verfolgt im Fernsehen die Meldungen aus ihrem Heimatland. „Dann wurde auf dem Bildschirm plötzlich ein Foto des Opfers gezeigt“, erinnert sich Liilia Links Ehemann Hartmut Link.

Der Schock sitzt tief, fassungslos blickt das Paar auf das eingeblendete Foto. Es zeigt Ene Sarap, eine Freundin. „Es ist furchtbar, was dort passiert ist. Wir sind zutiefst bestürzt“, sagt Hartmut Link, der den Tod seiner Freundin nicht verstehen kann.

Die Deutschlehrerin an der Paalalinna School in Viljandi ist vielen Ahrensburgern bekannt und pflegt jahrelange Freundschaften in Stormarn. Seit der Städtepartnerschaft, die im Oktober 1989 beurkundet wurde, war Sarap regelmäßiger Gast in der Schlossstadt. Anfang der 90er-Jahre engagiert sich die Estin bei Hilfslieferungen in ihre Heimat. Zudem begleitet sie Gruppen beim Schüleraustausch. So wie im Jahr 2000, als sie mit fünf Zehntklässlerinnen nach Ahrensburg kommt und auch eine Woche am Eckhorst-Gymnasium in Bargteheide als Lehrerin hospitiert. „Das war wichtig für uns. Fremdsprachen lernt man hier schneller und lockerer. Es gibt mehr Gespräche, die Mitarbeit ist besser, und die Schüler sind freier“, sagte sie damals lobend.

Doch nicht nur der Besuch in der Schule sei für sie wichtig gewesen, auch das Leben in den Gastfamilien. „So lernen die Schüler am besten Land und Leute kennen“, sagte die engagierte Lehrerin Ene Sarap 2004.

Auch 2013 kommt Sarap mit Schülerinnen nach Ahrensburg, um bei der Kinderstadt Stormini mitzumachen. „Ene Sarap hat sich dafür stark gemacht, dass ihre Schüler nach Deutschland kommen“, erinnert sich der Organisator vom Kreisjugendring, Ansgar Büter-Menke. Sarap meldet sich auch als Freizeitbegleiterin und geht mit den Kindern beispielsweise abends ins Kino. „Die Zusammenarbeit war so gut, dass wir sie auch in diesem Jahr nach Stormarn eingeladen haben“, erinnert sich Büter-Menke.

Zwar wurden die Zelte der Kinderstadt 2014 in Glinde aufgebaut, doch Ahrensburg setzte sich trotzdem dafür ein, dass Sarap und ihre Schüler wieder nach Stormarn kommen. „Das war uns wichtig, sie war nämlich eine tolle Frau, eine Vollblutlehrerin“, sagt Rafael Haase (SPD), Städtepartnerschaftsbeauftragter von Ahrensburg, der von der Todesnachricht schockiert ist. „Ene war ein liebenswerter Mensch. Sie war bescheiden und zurückhaltend, aber dennoch bestimmend, wenn es um die Schüler ging“, erinnert sich Haase.

Die Nachricht vom tragischen Tod der Deutschlehrerin löste auch im Ahrensburger Rathaus tiefe Bestürzung aus. „Ich habe Ene Sarap bei Stormini kennengelernt“, sagt Bürgermeister Michael Sarach, der von einer tiefen Verbundenheit mit der Partnerstadt spricht. Deswegen wird er jetzt auch einen Brief an seinen Amtskollegen verfassen. „Unser Beileid gilt jetzt der Familie der Verstorbenen“, sagt Sarach.

Ene Sarap hinterlässt einen Ehemann, zwei erwachsene Töchter und zwei Enkelkinder. Warum sie sterben musste, ist bislang noch unklar. Laut der Polizei in Estland gebe es noch keine Erkenntnisse über ein Tatmotiv. Die Umstände lassen jedoch vermuten, dass es eine gezielte Tötung war. Örtliche Medien berichten, dass der Schüler mehrfach auf seine Lehrerin geschossen hatte. Vier weitere Klassenkameraden, die ebenfalls im Raum waren, blieben unverletzt. Als die Polizei in den Raum gestürmt kam, ließ er sich widerstandslos festnehmen.

Laut Polizei ist der Revolver auf den Vater des Jungen zugelassen. Lokale Zeitungen zitieren die Schulleitung damit, dass der Täter als „wohl erzogener junger Mann“, bekannt war, der zuvor keine Probleme in der Schule gehabt habe. Allerdings berichtet die estnische Zeitung „Postimees“, dass der Schüler Anfang April auf seiner Facebook-Seite beunruhigende Beiträge gepostet habe. „Verurteilt mich nicht, weil ich zurückhaltend bin. Niemand plant einen Mord auf laute Weise“, soll dort zu lesen gewesen sein.

Estlands Staatspräsident Toomas Hendrik Ilves reagierte schockiert und sagte: „Der Vorfall ist keine Tragödie einer Schule oder einer Stadt. Es ist eine Tragödie für ganz Estland.“ Dem Schüler drohen wegen dieser Tat bis zu zehn Jahre Haft.