Sie könnten Konkurrentinnen sein, inspirieren sich aber lieber gegenseitig: In Ahrensburg arbeiten sie unter einem Dach

Ahrensburg. Fünf Frauen. Fünf Künstlerinnen. Fünf Individualistinnen. Und alle arbeiten und unterrichten unter einem Dach. Kann das gutgehen? Offenbar. Das Ahrensburger Experiment läuft seit rund drei Jahren – und der Betrieb reibungslos. „Allürenfrei“, sagt Christine Petersen und grinst. Sie weiß, wovon sie redet. Und auch alle anderen in diesem kreativen Frauenbund. „Man kennt das. Jeder Künstler schrill für sich. Hauptsache auffallen“, sagt Christine Petersen. „ Hier ist es richtig nett. Und das ist unglaublich erholsam.“

Hier: Das ist ein unscheinbares Haus aus den Fünfzigern, mit schlichtem Rauputz und einer durch die Zeit leicht abgewetzten Eingangstreppe Drumherum ein Garten mit Apfelbäumen und Rasen zum Herumspringen. Und drinnen jede Menge Platz, um sich künstlerisch auszutoben.

Hier wird auf allen Etagen Kunst gemacht

Ein komplettes Einfamilienhaus nur für die Kunst mitten im Ahrensburger Villenviertel. Die Parkallee ist ein teures Pflaster, das Experiment ist nicht nur eine emotionale Herausforderung für die Künstlerinnen, die ihr Schneckenhaus verlassen und sich der potenziellen Konkurrenz öffnen. Es birgt auch ein finanzielles Risiko.

„Allein wäre das schwierig, aber mit dem Team geht das gut“, sagt Maria Müller-Leinweber. Die Ahrensburgerin hatte das Projekt 2011 angeschoben. „Es läuft super“, sagt sie. Und ihr Gesicht spricht Bände. Kaum anzunehmen, dass sie sich von ihrer Idee hätte abbringen lassen, das freigewordene Häuschen auf dem elterlichen Nachbargrundstück mithilfe der Familie zu erwerben. „Ich hatte schon Kurse gegeben und war mir ziemlich sicher, den Plan fortzuführen. Und die Bedingungen sind optimal.“

Besser geht es wirklich kaum. Der sonst oft übliche Gang in den Keller in einen abgeschiedenen Raum bleibt den Künstlern erspart: auch den Kleinen, die zum Lernen und Ausprobieren kommen und die Kunst gerade erst für sich entdecken. Im Atelierhaus mit dem an Bullerbü erinnernden Namen Mamülei ist das ganze lichtdurchflutete Erdgeschoss dem Kursbereich vorbehalten, den Schülern also.

Fast 60 Kinder, Jugendliche und Erwachsene kommen jede Woche hierher und lassen sich von Maria Müller-Leinweber, Christine Petersen, Julie Sodré und Nicole Iwanov in die Geheimnisse des feinen Zeichens, der Perspektive, des Umgangs mit Pastelltönen, der Acrylmalerei und der Kunst des fließend-flüchtigen Aquarellierens einweihen, bei dem Motiv und Stimmung mit wenigen Strichen auf Anhieb eingefangen werden müssen.

Schon Sechsjährige wagen sich an die verschiedenen Techniken heran. „Das geht, weil die Gruppen klein sind. Und weil wir individuell unterrichten“, sagt Maria Müller-Leinweber, deren Name in abgekürzter Form dem etwas anderen Atelierhaus seinen Namen gibt. „Während der eine mit Pappmaché arbeitet, macht ein anderer einen Linolschnitt“, sagt Christine Petersen, die auch höchst praktisch zu Werke geht. Zur Erklärung der für manche schwer zu verstehenden Bild-Perspektive hat sie einen Rahmen mit einem Drahtraster und einem verschiebbaren Stab gebaut, der das Motiv darstellen soll. So kann sie zeigen, wie der Gegenstand, je nachdem, wo er sich auf dem Bild befindet, räumlich richtig dargestellt wird.

„Jeder kann ganz nach seinen Wünschen arbeiten und experimentieren“, sagt auch Nicole Iwanov. Die Erwachsenen mit mehr Ehrgeiz, die Kinder entspannter, aber genauso neugierig. „Und niemand schaut neidisch auf den Nachbarn, weil dessen Pferd oder Pinguin toller geworden ist“, sagt Christine Petersen. „Die Kinder sehen, was andere machen, und bekommen dann schon die Idee für ihr nächste Werk “, sagt sie und beschreibt perfekt, wie die Atelier-WG der fünf Frauen funktioniert.

Nur die ehemalige Bankkauffrau unterrichtet nicht

Sie sind höchst unterschiedlich, sie bevorzugen verschiedene Techniken, aber sie nutzen das, um sich gegenseitig zu bereichern. Inspiration statt Konkurrenz. Während die Illustratorinnen Marie Müller-Leinweber und Nicole Iwanov für Kinderbuchverlage arbeiten, fertigt Illustratorin und Grafikerin Christine Petersen auch Objekte an und hat Steine für sich als Motive entdeckt.

Sabina Fabarius, die als einzige im Bunde nicht unterrichtet, sondern im Obergeschoss von Mamülei ein Atelier hat, war in ihrem früheren Leben Bankkauffrau. „Ich vermisse das unheimlich“, sagt sie, rollt die Augen und lacht. In Wirklichkeit ist sie froh, dass sie dieser Welt entkommen ist, seit 15 Jahren als Autodidaktin durch die Lande reist und bei Künstlern privat studiert.

„Ich hatte überall in Ahrensburg erzählt, dass ich ein Atelier suche“, erinnert sie sich. Und auch Maria Müller-Leinweber erinnert sich genau. „Ich war mittendrin in den Renovierungsarbeiten. Die Tapeten hingen noch in Fetzen . Da stand Sabina schon auf der Matte“, sagt die Initiatorin des Projekts, die ebenfalls im Obergeschoss ein Atelier hat und nun Wand an Wand mit der früheren Bankkauffrau arbeitet und sich künstlerisch austauscht.

Julie Sodré ist so etwas wie ein Paradiesvogel in der Kunst-WG. Und genau solche und andere exotische Tiere malt sie auch. „Ich habe in Rio visuelle Kommunikation studiert“, erzählt die Tochter eines Brasilianers und einer Deutschen. Als sie 2002 nach Hamburg kam, studierte sich zusätzlich Fotografie und Illustration. Ihr Problem war aber nicht das Finden ihrer ganz eigenen Technik. Sie wusste einfach nicht, wohin mit den Farben des Landes, in dem sie aufgewachsen war. „Bei mir ist alles bunt“, sagt Julie Sodré, die nun Tiere Brasiliens und exotische Blumen und Pflanzen malt. „Jetzt kann ich meine Farben einsetzen“, sagt sie, strahlt und verrät zugleich, dass sie weiße Haare liebt. So hat sie sich beim Selbstporträt mit weißen Haaren dargestellt. Gar nicht bunt und doch exotisch.

Es geht fröhlich zu im Atelierhaus. Es wird viel gelacht und aus bunten Keramikbechern Kaffee getrunken, die natürlich eine befreundete Keramikerin hergestellt hat. „Wir treffen uns oft auch einfach nur so“, sagt Maria Müller-Leinweber. Dann werde geredet, aus Blödsinn mal von der Gartenbank gesprungen oder gebastelt. „Nein. Keine Kastanien-Tiere“, sagt sie. Und schon lachen wieder alle.

Bis jetzt ist das Experiment geglückt. „Das langsame, entspannte Wachsen hat sich bewährt“, sagt die Initiatorin. Und so solle es weitergehen – mit kleinen Gruppen und individuellem Unterricht. Und mit Zeit, sich gegenseitig zu inspirieren. Die erste Gemeinschaftsausstellung ist gerade zu Ende gegangen. „Das war eine tolle Party“, sagt Christine Petersen. „Jeder war Teil des Ganzen. Und da war nichts Zwanghaftes“, sagt Nicole Iwanov. Titel der gemeinsamen Schau auf dem Bungsberg auf Einladung der Sparkassen-Stiftungen:„Alles im grünen Bereich.“