Halterin vermutet Straftat. Bahn und Polizei wissen zunächst von nichts. Internetgemeinde beschuldigt Besitzerin

Bad Oldesloe. Denise Binnoit kauert am Bahndamm bei Bad Oldesloe. Vom Rümpeler Weg aus ist sie an die Gleise gegangen, nun zündet sie ein Grablicht an. Es ist der Ort, an dem ihr Islandpony Fleygur gestorben sei, sagt sie, überfahren von einem Zug. Der Tod Fleygurs – es ist eine Geschichte voller Rätsel. Denise Binnoit geht von einer Straftat aus. Polizei und Bahn haben den Unfall auf den Gleisen zunächst abgestritten, erst Wochen später eingeräumt. Nun sieht sich die junge Frau im Internet auch noch einem „Shitstorm“ ausgesetzt: Sie habe Fleygur selbst getötet, heißt es dort unter anderem.

Die Geschichte beginnt am Nachmittag des 19. September: Fleygur ist von seiner Koppel verschwunden. Binnoit: „Ich lief sofort los und suchte überall, weiter weg und dann sogar im Teich.“ Und weiter: „Fleygur hatte eine schwere Verletzung am Bein, die gerade erst verheilt war. Ich dachte, er sei vielleicht gestürzt.“ Aber sie kann das Pferd nicht finden. „Also habe ich die Polizei angerufen. Die haben mir erzählt, dass im Morgengrauen ein braunes Pferd von einem Zug überfahren worden sei. Mehr Informationen bekam ich nicht. Das Pferd konnte angeblich nicht identifiziert werden.“

Zwei Tage später steigt Denise Binnoit mit einer Freundin den Hang hoch, der zu den Bahngleisen führt. „Ich hatte schon vorher alles hier nach Spuren abgesucht. Wenn Fleygur allein losgezogen wäre, wäre hier Gras abgefressen worden oder es hätten Pferdeäpfel herumgelegen. Aber es war nichts zu sehen.“ Deshalb vermutet die 23-Jährige, dass jemand das Pferd von der Weide genommen und auf die Bahngleise gestellt haben muss. „Er wäre auch allein nie von seinen Stuten weggegangen“, sagt Denise Binnoit. „Er ist immer schon durchgedreht, wenn sie kurz außer Sichtweite waren.“

Angekommen am Unfallort, entdecken Denise Binnoit und ihre Freundin im Knick neben den Bahnschienen tatsächlich etwas. „Ich sah nur etwas Braunes, Unförmiges im Gras liegen. Ich bin weggerannt, wollte nicht hinschauen.“ Aber einen Tag später kommt sie wieder, um Fotos zu machen. Auch herumliegende Zähne und ein paar Haare von der Mähne nimmt sie mit. „Es war eindeutig Fleygur, ich habe ihn erkannt. Ich habe mich gewundert, warum die Polizei nicht versucht hat, die Halterin ausfindig zu machen.“ Die Polizisten sagen Binnoit, es sei nichts mehr erkennbar gewesen von dem Tier. „Aber das stimmte nicht. Das ist doch komisch. Vor allem, weil die Bahn ja Schadensersatz von mir beziehungsweise meiner Versicherung hätte fordern können.“

Auf Abendblatt-Anfrage bei der Deutschen Bahn sagt Sprecher Egbert Meyer-Lovis: „Wir haben keine Erkennungsmarke gefunden.“ Sprecher Matthias Menge von der Bundespolizei sagt, er habe schon mehrere Anfragen bezüglich des Falls erhalten. „Aber seinerzeit wurde kein Unfall registriert.“ Nach erneuter Recherche einige Zeit später bei der Polizei wird Pressesprecher Holger Meier von der Polizeidirektion Ratzeburg schließlich fündig. „Am 19. September um 5.36 Uhr morgens wurde von einem Güterzug ein Pferd überfahren“, sagt er. „Es wurde wegen gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet.“ Auf erneute Anfrage findet auch die Bundespolizei den Vorfall in ihren Akten. Für die Entsorgung sei die Bahn verantwortlich, eine Identifizierung des Pferdes sei nicht möglich gewesen.

Unterdessen erfahren Facebook-Nutzer von dem Fall. Denise Binnoit hatte dort im November 2013 eine Seite erstellt, um Spenden für den damals kranken Fleygur zu sammeln. „Ich konnte die hohen Tierarztkosten nicht mehr bezahlen, und eine Freundin meinte: „Probier’s doch mal aus!“ Tatsächlich kamen auf diesem Weg 800 oder 900Euro zusammen.

Auf dieser Seite veröffentlicht sie auch den Tod Fleygurs – und löste einen regelrechten „Shitstorm“ aus. User beschuldigen sie, das Pferd verkauft zu haben und das gespendete Geld für sich behalten zu wollen. „Das stimmt nicht“, sagt Binnoit. „Das Geld hat genau für die Nachbehandlungen gereicht. Und die restlichen 11.000 Euro für die Klinik habe ich von der Versicherung des anderen Pferdes wiederbekommen, das mit Fleygur zusammengelaufen ist.“ Unter einem Bild, das Binnoit veröffentlicht, liest man kurze Zeit später in Dutzenden Kommentaren wüste Anschuldigungen. Das Bild zeigt Grabkerzen und Blumen, die Denise Binnoit an der Unfallstelle aufstellte. Bis heute zündet sie dort regelmäßig Kerzen an.

Die Nutzer bei Facebook beschuldigen Binnoit, sich die Geschichte ausgedacht haben. Sie fordern sie auf, Bilder der Pferdeteile zu veröffentlichen. „Aber das wollte ich nicht. Das ist doch geschmacklos, so etwas bei Facebook zu veröffentlichen“, sagt Binnoit. Was natürlich weiter die Gemüter erregt. Schließlich vereinbart Binnoit einen Treffpunkt auf einem Parkplatz. Sie hat ihren Laptop mit den Fotos dabei. „Niemand erschien. Nur bei Facebook hatten alle eine große Klappe.“

Eine Nachricht mit Foto der Pferdeteile schickt sie schließlich an eine der Kritikerinnen. Die Empfängerin entschuldigt sich daraufhin öffentlich. Das Rätsel um das Islandpony Fleygur aber ist damit nicht gelöst. Denise Binnoit weiß nicht, ob es jemals gelöst wird.

Die Fotos von den Pferdeteilen liegen auch der Redaktion vor. Wir haben uns entschieden, sie nicht zu zeigen.