Sülfelds Archivar Ulrich Bärwald hob im Internet einen echten Schatz für die Dokumentation der Dorfgeschichte

Sülfeld. Um Schätze zu heben, braucht man manchmal keine vergilbten Piratenschatzkarten oder Edelmetalldetektoren. Es genügt die automatische Stichwortsuche im Internet. Ulrich Bärwald ist seit 1975 der unermüdliche Archivar der Gemeinde Sülfeld. Wenn irgendwo Sülfeld draufsteht, wenn es vergilbt ist oder sonstige Patina aufweist, dann wird er ziemlich nervös und neugierig.

Natürlich schlug er sofort zu, als neulich auf einem virtuellen Marktplatz „Historisches zur Gemeinde Sülfeld“ angepriesen wurde. Für 200 Euro ersteigerte er zwei sehr dicke, leicht aufgequollene Bücher, etliche Plakate, Bilder und Medaillen. Und ist nun sehr glücklich und sehr wütend gleichzeitig.

Glücklich, weil es sich bei den Büchern um die vollgeschriebenen Geschäftsjournale des Vorstehers des Amtes Borstel handelt, die dieser bis 1890 geführt hatte. Die dann ein bekannter Handwerksmeister aus Sülfeld übernahm, um sie bis in die 50er-Jahre hinein lückenlos mit allen die Gemeinde Sülfeld betreffenden Artikeln aus dem „Stormarner Tageblatt“ vollzukleben. Mit den Büchern im Paket waren dazu noch etliche Original-Plakate von Schützen- und Feuerwehrfesten in Sülfeld und die Medaillen der Schützenkönige aus den 20er- und 30er-Jahren.

Wütend ist Bärwald, weil all das beinahe im Müll gelandet wäre. Die Nachfahren des Handwerksmeisters hatten offenbar den Speicher entrümpelt und Kisten voll mit historischem Material einem Entrümpler überlassen. So tauchte der Sülfeld-Schatz bei einem türkischen Flohmarkthändler in Hamburg auf. Ein Bruder im Geiste von Ulrich Bärwald, ein Sammler von allem Historischen aus Sülldorf, erstand das Material. „Dann erst merkte er, dass es sich um Sülfeld und nicht um Sülldorf handelte und stellte das Zeug ins Netz“, sagt Bärwald.

Er wird nicht müde, im Dorf allen Sensibilität im Umgang mit historischem Material einzuimpfen. Dass es Menschen in Sülfeld gibt, die nichts von seiner akribischen Archivierung der Dorfgeschichte mitbekommen haben, kann er kaum fassen. „Noch dazu, weil ich die Familie des Handwerksmeisters kenne.“ Um es noch mal unmissverständlich klarzustellen: Historisches aus Sülfeld nie wegwerfen, sondern immer Ulrich Bärwald geben!

Wer in den mit Artikeln vollgeklebten Bücher blättert, kann die Begeisterung Bärwalds für seinen Fund nachempfinden. Die Bücher ziehen den Leser augenblicklich in ihren Bann. Ganz besonders, weil sie dunklen Jahre der Naziherrschaft dokumentieren. Bärwald kennt Chroniken, da wurden die Seiten ab 1933 raus gerissen. In den ersteigerten Büchern aber finden sich alle Geschichten aus dem Dritten Reich, wie es Sülfeld erlebte.

Es sind ganz kleine banale Notizen, die das Leben der Bevölkerung im Kriegswinter 1942 illustrieren. Etwa die vom 23. Dezember: „Zwei fette Gänse wurden einem hiesigen Einwohner nachts aus dem verschlossenen Stall gestohlen.“ Aber es finden sich auch die ganz großen Sülfelder Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg, die einem unwillkürlich den Atem stocken lassen.

Die opulenten ganzseitigen Berichte über einen Sülfelder Gefreiten und Richtschützen der 1. Panzer-Jäger-Abteilung 20 der Wehrmacht. Hans Krohn war im Jahr 1942 so etwas wie ein Popstar im braunen Hitler-Deutschland. Der Sülfelder Malergeselle war der jüngste Ritterkreuzträger Deutschlands, der vierte Soldat im Mannschaftsgrad, der diese Auszeichnung überhaupt bekam. In der NS-Propaganda wurden die Ritterkreuzträger zu Helden stilisiert, manche hatten sogar Autogrammkarten.

Im Artikel des „Stormarner Boten“ dokumentiert der Autor Carl Freiherr von Vogelsang detailliert die Geschichte Krohns an der Front nahe des Westrussischen Wolchow, wo sich Krohn angeblich mit Heldenmut der russischen Übermacht von 32 schweren Panzern entgegenwarf, sechs Panzer abschoss und die übrigen „Bolschewisten“ in die Flucht schlug. Die Erzählung strotzt vor öligem Pathos und stinkt nach haltloser Übertreibung. Krohn wird vom Führer Adolf Hitler persönlich in die Reichskanzlei nach Berlin gebeten. Dort „widerfuhr Hans Krohn das schönste Geschenk, das ihm werden konnte“: Eine halbe Stunde lang darf er dem Führer seinen Einsatz nacherzählen. In Sülfeld wurden Paraden zu Krohns Ehren organisiert. Der Zeitungsautor erlebt, wie vor dem Haus der Krohns eine Schar vom Bund deutscher Mädel vorbei kommt, um dem Ritterkreuzträger ein Lied zu singen.

Mit Krohn nahm es übrigens kein gutes Ende. Er überlebte den Krieg, starb aber irgendwann im Gefängnis in Hannover. Er war des Inzests mit seinen Töchtern überführt worden.

Lebendiger und persönlicher lässt sich Geschichte nicht nacherleben als beim Studium solcher Original-Dokumente. Ulrich Bärwald würde sie gerne komplett lesen und am besten digitalisieren, damit jeder sie lesen kann. „Doch dazu fehlt mir noch die Zeit. Da muss ich wohl erst Rentner werden.“