Katharina Nordheim kellnert beim Oktoberfest. Ein Abend zwischen Bierkrügen, Polonäse und Kirschschnaps

Ein süßlicher Sauerkraut-Duft durchzieht das Festzelt an der Großen Straße in Ahrensburg. An den Tresen wird Bier vorgezapft, die weißen Schaumkronen senken sich langsam ab. Zehn Schnapssorten liegen in den Kühlschränken bereit. Noch sind die meisten Flaschen verschlossen, doch das wird sich schnell ändern. Auch dank des Einsatzes von Katharina Nordheim, deren Sechs-Stunden-Schicht in dem rund 550 Quadratmeter großen Oktoberfestzelt beginnt.

Zehn blau-weiß eingedeckte Tische sind ihr Revier an diesem Abend. Ihr Ehemann Christian steht hinter dem Tresen. Für das Ahrensburger Oktoberfest ist das Paar aus Schönböken im Kreis Plön angereist. „Ich bin seit drei Jahren dabei. Eine Freundin hat mich damals gefragt, ob ich mithelfen will“, sagt Katharina, während eine lange Menschenschlange vor dem Eingang auf Einlass wartet. Es sind die letzten ruhigen Minuten vor einem langen und auch mal hektischen Feiersturm.

19.09 Uhr: Katharina nimmt die ersten Bestellungen entgegen. Die Besucher verlangen vor allem eines: Bier. Genau ein Liter passt in jeden der etwa 1,3 Kilogramm schweren Maßkrüge. Katharina stemmt mit ihren zierlichen Händen sechs Gläser in die Höhe. Rund 14 Kilogramm sind es, die die 36-Jährige zu Tisch 46 trägt. Die Unterarme sind angespannt, der Rücken gerade. Am Tisch angekommen, setzt sie die Bierkrüge vorsichtig ab. Noch während sie das Geld kassiert, rufen ihr Besucher von anderen Tischen ihre Bestellungen zu.

19.33 Uhr: Nach der ersten Maß Bier trudeln auch Schnapsbestellungen ein. Katharina bringt fünf Miniflaschen „Kleiner Feigling“ an einen Tisch. „Schmecken tut’s nicht. Aber Feigling hat man einfach so im Kopf“, sagt einer der Besucher und lacht dabei. Seine Begleiter und er drehen die Flaschen um, klopfen damit auf den Tisch, öffnen die Deckel und kippen den Inhalt in einem Zug hinunter.

Inzwischen ist Katharina wieder am Tresen angekommen. In vielen kleinen Schritten bahnt sich die 1,65 Meter große Frau zügig ihren Weg durch die Menschenmenge. Gekonnt schiebt sie sich zwischen den einzelnen Sitzbänken hindurch. Die Feiergemeinde hat mit ineinander verschränkten Armen angefangen, zur alpenländischen Musik der Band Deich Tiroler zu schunkeln. „Im vergangenem Jahr waren die Gänge nicht so eng“, sagt Katharina. Sie passt genau hindurch.

Im Vorbeigehen sammelt sie leere Bierkrüge und benutzte Plastikteller von den Tischen. Vereinzelt sind darauf noch die Reste von gegrillten Schweinshaxen, Kassler, Nürnberger Würstchen, Leberkäse oder Spanferkelbraten zu erkennen.

19.49 Uhr: Der Arbeitsbereich hat sich längst über die ihr zugeteilten zehn Tische ausgeweitet. „Oans, zwoa, gsuffa“ und „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ tönt es aus den Lautsprechern. Discjockey Andrew Dawn animiert die rund 500 Besucher zum Mitsingen und -trinken. Die Stimmung steigt, der Alkoholpegel auch.

20.06 Uhr: Ausgerechnet jetzt gibt es Probleme an der Bierzapfanlage. „Wir haben zu wenig Druck drauf“, ruft Christian und hält dabei einen Bierkrug schräg an den Zapfhahn. Wo vorher der Gerstensaft in großen Mengen floss, kommt jetzt nur noch Schaum heraus. Vor dem Tresen warten Dutzende Männer auf Nachschub. Dazwischen steht Katharina, die zum ersten Mal an diesem Abend nicht mehr lächelt, sondern die Stirn ein wenig in Falten zieht. „Das Bier läuft nicht so wie es soll“, sagt sie.

Dann dreht sie sich um und macht sich wieder auf den Weg. In der rechten Hand hält sie eine Maß Bier, mit der linken Hand balanciert sie ein Tablett mit Weingläsern darauf. „Die Hütte brennt, und ich soll die Tische abwischen“, ruft ihr eine Kollegin kopfschüttelnd im Vorbeigehen zu. Unterdessen ist das Tresen-Problem behoben. Christian Nordheim, Finja Lucassen und Rieke Jacobs zapfen im Kampf gegen trockene Kehlen um die Wette, haben den Stau in wenigen Minuten abgebaut.

20.42 Uhr: „Man merkt, dass der Pegel langsam steigt“, sagt Katharina und lächelt wieder. Einzelne Gruppen stehen auf den Holzbänken und prosten sich gegenseitig zu. Nicht nur die Musik ist laut, auch die Besucher sind es. Am Tresen muss man sich Gehör verschaffen. „Acht Rote und zwei Grüne“, ruft Katharina ihrer Kollegin Rieke entgegen. Die weiß sofort, was zu tun ist, und füllt zehn Schnapsgläser voll.

„Oldesloer“ steht in roten Lettern auf dem Flaschenetikett. Obwohl Ahrensburg mit seinem Oktoberfest eine bayerische Tradition importiert, muss ein wenig Heimatbezug schon sein. „Die Roten laufen heute besonders gut“, sagt Katharina und nimmt von Rieke den Schnaps entgegen. Gekonnt stellt sie die Reihe oben auf vier Maßkrügen ab. Vorsichtig steuert sie Tisch 48 an. Dort ist die Stimmung ausgelassen. „Willste einen haben?“, fragt Willi Dettge und reicht Katharina einen Kirschschnaps. Die Serviererin prostet den Gästen im Stehen kurz zu. Als sie zum Tresen gehen will, drückt Dettge ihr einen leeren Bierhumpen in die Hand, der an einer Seite zersplittert ist. „Willi hat das Bierglas zerschlagen. Beim Anstoßen war er ein bisschen zu sportlich eingestellt“, sagt Ken, der gegenüber sitzt.

20.58 Uhr: Die Lautsprecher fallen aus. Spontan erobern die Deich Tiroler mit ihren Instrumenten – Trompete, Tuba, Akkordeon – die Bühne. „Es gibt ein Problem mit den Kabeln. Das ist wohl ein größerer Schaden“, sagt Kendra Hohn. Die Musiker spielen jetzt zwischen den Gängen. Um sie herum tanzen Paare Discofox.

21.06 Uhr: „Ich brauch zwei Bier!“, ruft Katharina ihrem Mann zu. Dabei streift sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Auf den Weg zu den Tischen bewegt Katharina lautlos die Lippen zu der Musik von Mickey Krauses Schlager „Sie hatte keine Schuhe an“. Sie selbst trägt flache, bis zum Knöchel reichende Lederstiefel.

21.40 Uhr: Die Technik funktioniert wieder. Jetzt ist Schlagerkönigin Helene Fischer an der Reihe. „Atemlos in Ahrensburg!“, ruft der DJ der Menge entgegen. Das kann Katharina bedenkenlos unterschreiben. Hinter dem Tresen schiebt sie sich schnell ein Stück Brezel in den Mund und trinkt einen Schluck Cola – dann geht es weiter.

21.44 Uhr: Der DJ spielt „Mambo“ von Herbert Grönemeyer – Zeit für eine Polonäse. Als sie von einer Besucherin an den Schultern gepackt wird, reiht sich die 36-Jährige ein. Der Holzfußboden bebt.

0.00 Uhr: Die Musik verstummt, das Fest ist zu Ende. Doch wollen etliche Besucher noch lange nicht nach Hause. Überall sitzen Gruppen, leeren ihre Gläser. Katharina und ihre 13 Kollegen flitzen zwischen ihnen hin und her, räumen das Festzelt auf.

1.04 Uhr: Feierabend, doch zum Erholen bleiben nur wenige Stunden. Um zwölf Uhr ist Katharina wieder im Einsatz. Dann beginnt für sie die nächste Maß-Arbeit beim Ahrensburger Oktoberfest. Und im Zelt wird es wieder nach Sauerkraut duften.