Johanna Haufe aus Klein Hansdorf hat ein Geheimrezept für ein langes, zufriedenes Leben: Lachen, lachen, lachen. Oder wenigstens lächeln

Jersbek. Johanna Haufe ist momentan eine sehr gefragte Frau. Zum Interviewtermin schafft sie es aber trotzdem: Direkt nach der Gymnastikstunde ist noch ein Zeitfenster frei. Als die kleine Frau den Raum betritt, drehen sich alle zu ihr um. Sie schiebt ihren Rollator auf einen Tisch zu, blickt sich kurz suchend um, dann entdecken ihre Augen die Tochter. Sie stellt den Rollator neben den runden Tisch, stützt sich darauf ab und setzt sich dann langsam auf einen Stuhl. „Kaffee?“ Traute Hilbrandt, 80, blickt ihre Mutter fragend an. Die lächelt, ihre klaren Augen strahlen, glitzern wie zwei Edelsteine. Schlohweißes, glattes Haar umrahmt Wangen und Stirn. Klar, Kaffee, gern.

Johanna Haufe, die an diesem Sonnabend Geburtstag feiert, kann den ganzen Wirbel um ihre Person nicht so recht nachvollziehen. „105? Ist doch auch nur ein Geburtstag.“ Bis auf den Umstand, dass ihre Ohren nicht mehr ganz so mitmachen wie früher, klagt sie über keine Gebrechen. Ihr Verstand ist so klar wie die Augen.

„Na, musste ich Gymnastik für dich mit machen, ne? Hast du dich wieder gedrückt“, sagt sie nun zu ihrer Tochter und grinst sie schelmisch an. Beide lachen laut, und auch die Umstehenden fallen ein. Seit Johanna Haufe den Raum betreten hat, sind alle wie gebannt von ihr. „Sie ist bei allen beliebt“, sagt Anke Graupner, die für die Soziale Betreuung in dem Seniorenwohnheim in Klein Hansdorf, in dem Haufe lebt, zuständig ist. „Kein Wunder, über ihre Lippen kommt kein böses Wort, und sie ist so ein positiver Mensch. Die anderen Bewohner nennen sie immer ‚ihre Oma des Hauses‘ und verwöhnen sie nach Strich und Faden.“

Traute Hilbrandt nickt. „Heute erst habe ich wieder Schokolade in deinen Jackentaschen gefunden“, sagt sie. Johanna Haufe zuckt mit ihren schmalen Schultern und schürzt die Lippen. „Die muss mir jemand da reingetan haben. Hab’ ich gar nicht gemerkt.“ Es scheint, als könne das Lachen gar nicht aus ihrem Gesicht weichen. Selbst wenn sie gerade nicht lacht, so lächelt sie doch wenigstens. Das nächste Lachen kommt bestimmt, und dann haben es die Mundwinkel nicht so weit nach oben.

Dass die Chemie zwischen Mutter und Tochter stimmt, ist greifbar. „Ja, wir sind gut zusammen“, sagt Haufe und blickt mit liebevollen Augen hoch zu ihrer Tochter. „Sie ist für mich da“, erklärt sie. „Als Mutter war sie tatsächlich recht streng“, sagt Hilbrandt. „Aber das war damals eben so: Die Kinder hatten zu hören.“

Das Leben der Johanna Haufe war nicht immer leicht. Sie gehört zu den wenigen Menschen, die noch zwei Weltkriege erlebt haben und auch die Hungersnöte dazwischen und danach. „Oja, Hunger hatten wir“, sagt sie, und kurz verfinstert sich ihre Miene. Auch Traute Hilbrandt, 1934 geboren, kennt das Gefühl. „Beim Geruch von Steckrüben wird mir heute noch schlecht. Das war früher das einzige Essen.“

Aufgewachsen ist Johanna Haufe in Schiffbek, heute ein Hamburger Viertel. Nach der Hochzeit zog sie mit ihrem Mann nach Hamburg, eine echte „Hamburger Deern“ sei sie also. Dort lebten die beiden bis zu den Bombenangriffen im Sommer 1943. „Dann zogen wir nach München“, erzählt sie, „dann nach Dresden. Aber da wollten wir nicht lange bleiben.“ Dass die Rückkehr nach Hamburg eine gute Entscheidung war, wurde klar, als nur ein paar Monate nach dem Umzug Luftangriffe auch auf Dresden geflogen wurden.

Noch bis vor zwei Jahren lebte Johanna Haufe allein in ihrer Wohnung in Hamburg-Horn. Ihr Mann war 1987 gestorben. Erst nach einem schweren Sturz, bei dem sie einen Trümmerbruch in der rechten Schulter erlitt, zog sie in die Seniorenanlage um, in die Nähe ihrer Tochter. „Als sie hier ankam, dachten wir nicht, dass sie noch einmal wieder aus dem Bett würde aufstehen können“, sagt Anke Graupner. „Aber wir wurden eines Besseren belehrt. Frau Haufe übte und übte – eine tolle Leistung, in dem Alter nicht aufzugeben. Das ist bei vielen 20 Jahre jüngeren Menschen nicht mehr möglich.“

„Eines Tages fuhr ich zu meiner Mutter, und sie kam mir in der Tür mit ihrem Rollator entgegen“, erzählt Traute Hilbrandt. Seitdem steht ein Spaziergang um den Teich des Seniorenwohnheims täglich auf dem Programm. „Das ist mein Porsche“, sagt Johanna Haufe. „Kutsche“ nennt sie ihren Rollator auch gern. „Sie mag den Rollator eigentlich gar nicht“, sagt ihre Tochter. „Sie wurde richtig böse, als ich damit ankam. Aber damit kann sie immer allein entscheiden, wann sie wohin geht.“

Bei den monatlichen Tanzabenden ist auf Johanna Haufe Verlass. „Sobald die Musik anfängt, bewegt sich Frau Haufe mit Freude auf dem Parkett“, sagt Anke Graupner. Ganz so flott wie früher gehe das natürlich nicht mehr, „aber sie ist dabei.“ Überhaupt liebe die alte Dame die Gesellschaft anderer Menschen . Graupner: „Allein ist sie eigentlich gar nicht gern.“

Was das Geheimrezept ihrer Fröhlichkeit sei? Johanna Haufe überlegt kurz und hebt dann ihre Arme fragend. Eine Zutatenliste gibt es also wohl nicht, eigentlich nur eine Ingredienz: „Ich kann halt lachen, ich lache immer. Auch wenn es keinen Grund gibt.“ Zu ihrem Geburtstag wünscht sich Johanna Haufe nur, „dass ich weiter so gesund bleibe wie heute“.

Als ein Foto von ihr geschossen werden soll, zeigt die bald 105-Jährige kurz, dass sie tatsächlich auch böse gucken kann. „Also wirklich, ich bin nicht mehr so schön! Was die immer alle wollen mit ihren Fotoapparaten.“ Anke Graupner lenkt vom Thema ab. „Bei der Feier am Sonnabend trinken wir beide dann einen Schluck Rotwein zusammen.“ „Ne, zwei“, entgegnet Johanna Haufe entschieden. „Auf einem Bein kann man ja nicht stehen!“