Wirtschaftsverband VSW organisiert Knigge-Seminar für Auszubildende im Reinbeker Schloss. Ein Ortstermin

Reinbek. Toter Fisch oder Hummerschere? Dass Susanne Pflaumbaum beim Händeschütteln beides draufhat, erleiden ihre Gäste in der ersten Reihe unmittelbar. Der Überraschungseffekt ist bei allen Betroffenen der gleiche: Ihre Gesichter verziehen sich – entweder weil sie sich unangenehm berührt fühlen oder weil der Begrüßungs-Schraubstock Wirkung zeigt.

Susanne Pflaumbaum weiß, dass Übertreibung hilft, denn sie lehrt das rechte Maß. Die 44-Jährige ist Coach für gutes Benehmen. Sie leitet für den Verband der Südholsteinischen Wirtschaft (VSW) das Seminar „Azubi-Knigge. Das Einmaleins für Berufseinsteiger“ im Schloss Reinbek. Es ist bereits die vierte Veranstaltung zum Thema, nachdem der VSW vor einem Jahr erstmals versuchsweise ein Benimm-Seminar angeboten hatte. „Wir hatten zwar Handlungsbedarf erkannt, dennoch hat uns die Nachfrage total überrascht“, sagt Stefanie Röder. „Diesmal haben wir von Anfang an zwei Veranstaltungen eingeplant.“ Die Rechtsanwältin ist im VSW für die Organisation des Seminarprogramms zuständig. „Uns hat positiv überrascht, was der Nachwuchs bereits mitbringt. Dennoch gibt es noch viel zu lernen.“

Die Teilnehmer am vierten Seminar sind eine ziemlich bunte Gruppe, ein Mix aus gewerblichen und kaufmännischen Auszubildenden. 40 junge Menschen, manche in Arbeitskleidung mit Firmenlogos, die meisten im Freizeitlook, der mehr oder weniger bürotauglich wirkt. Kein Verstoß gegen den Dresscode, denn an diesem Tag ist trotz Knigge vieles erlaubt. Fast alle sind direkt aus dem Job ins Seminar geeilt, wo sie eine wahrhaft sportliche Herausforderung erwartet: im Schnelldurchlauf von zwei Stunden die Grundregeln guten Benehmens zu lernen.

Susanne Pflaumbaum überrascht zunächst mit einem kleinen Exkurs zum Namensgeber Adolph Freiherr von Knigge und sein 1788 veröffentlichtes Hauptwerk „Über den Umgang mit Menschen“, das weniger ein Verhaltenskodex sei als eine Anleitung zur Selbstachtung entsprechend seinem ersten Satz: „Jeder Mensch gilt in dieser Welt nur so viel, als wozu er sich selbst macht.“ Die Trainerin übersetzt das für ihr Publikum: „Es geht um Respekt, Achtung, Wertschätzung, kurz gesagt: dass sich der Andere in meiner Gegenwart wohlfühlt – und das hat erst einmal viel mit Selbstachtung zu tun.“

Die zweite Vorbemerkung gilt den Regeln, die veränderbar sind: „Das ist wie im Sport. Beim Fußball gelten andere Spielregeln als beim Handball.“ Entscheidend sei es, zu wissen, in welchem System man sich gerade bewege. Wie flexibel man sein muss, veranschaulicht die Trainerin mit zwei rhetorischen Fragen: „Würden Sie Besteck verlangen, wenn Sie bei McDonald’s einen Burger essen?“ Wirkungsvolle Pause. „Oder würden Sie mit den Händen essen, wenn Sie das gleiche in einem Steakhaus serviert bekämen?“ Zweimal Gelächter und ein spürbarer Aha-Effekt.

Pflaumbaum zeigt einen Plastikhummer und fragt ihre Zuhörer, was passieren würde, wenn sie den auf dem Teller hätten, aber nicht wüssten, wie er zu essen sei. Spontane Antwort eines Jungen: „Das gibt eine schöne Sauerei.“ Wie man die vermeidet, weiß eine junge Frau: „Ich frage, wie man den zerteilt.“ Die richtige Antwort, sagt Susanne Pflaumbaum: „Es ist besser zu fragen, als es unwissend verkehrt zu machen.“

Es folgt ein Schnelldurchlauf in Begrüßungsritualen, nicht ohne den Hinweis, dass diese in verschiedenen Kulturen unterschiedlich ausfallen. Im Dialog mit dem Publikum wird durchdekliniert, wer in Deutschland wen wann wie grüßt, welche Anreden erlaubt sind und dass Augenkontakt bei der Begrüßung besonders wichtig ist: „Es gilt die Regel: So lange, bis Sie die Augenfarbe ihres Gegenübers erkennen.“

Auch die Regeln für Shakehands und den perfekten Händedruck werden geklärt und sofort ausprobiert. Bei Susanne Pflaumenbaums Runde durch alle Reihen bleiben dennoch einige ihrer Wünsche unerfüllt. „Ich bin Bauarbeiter“, sagt ein kräftig gebauter Jüngling, bei dem sich die Trainerin über einen zu festen Händedruck beschwert. Ihre Antwort: „Aber sie müssen sich nicht wie einer benehmen.“ Pflaumbaums Fazit am Ende der Runde: „Nur zwei von 40 haben sich beim Handschlag von ihren Stühlen erhoben. Bitte nicht vergessen, dass es für den gegenseitigen Respekt gilt, Augenhöhe herzustellen.“

Pflaumbaum fragt, was im Gespräch am stärksten auf das Gegenüber wirke. Die verblüffende Antwort liefert eine Studie aus den USA: der Inhalt des Gesagten macht nur sieben Prozent aus, die Stimme 38 Prozent und die Körperhaltung 55 Prozent. „Die Körperhaltung zeigt die innere Haltung“, sagt die Trainerin. „Wir sind emotionale Wesen.“ Deshalb seien sogar Emoticons in SMS wirkungsvoller als Worte.

Die Azubis erfahren, was im Small Talk ein „No Go“ ist (Geld, Religion, Politik, Tratsch), dass Kleider und Accessoires Leute machen, man es aber nicht übertreiben sollte („Handy und Autoschlüssel auf dem Restauranttisch gelten als Proletenbesteck“), dass Blue Jeans als typische Freizeithose bei der Arbeit ein falsches Signal senden und dass man beim geschäftlichen Essen Speisen meiden sollte, die Spuren zwischen den Zähnen, auf der Kleidung oder dem Tisch hinterlassen könnten.

Der abschließende Crash-Kursus in Sachen Tischsitten zeigt, dass es auch hier Nachholbedarf gibt. Auf die Frage, in welcher Größenordnung der Eingeladene im Restaurant bestellen sollte, sagt einer der Azubis: „Das Teuerste, weil der Gastgeber sich darauf eingestellt hat, dass ich es nehmen könnte.“

Pflaumbaum absolviert den Parforceritt fast auf den Punkt mit fünf Minuten Überziehung. Applaus der Azubis. Einer schaut mit hängenden Schultern die Uhrzeit auf seinem Handy nach und nuschelt seinem Nebenmann zu, ohne ihn anzugucken. „Shit, hoffentlich fährt die Bahn irgendwie.“