Wenn Frauchen und Herrchen arbeiten müssen, toben die Tiere auf der Anlage von Kirsten Schnoor mit Artgenossen – und lernen auch Benehmen

Siek. Lautes Gebell erklingt hinter der schweren, grünen Eisentür des Hundekindergartens Siek. Etliche Tiere sind schon um 7 Uhr morgens in den „Huga“ gebracht worden, wie Inhaberin Kerstin Schnoor ihre Einrichtung kurz nennt. „Unsere Kunden sind beruflich darauf angewiesen, dass wir so früh öffnen“, sagt sie.

Bevor Besucher zu den Hunden dürfen, gibt die Fachfrau noch ein paar Verhaltensregeln mit auf den Weg: „Carlos, der Entlebucher, mag keine Fremden. Bleiben Sie ruhig, sprechen Sie ihn nicht an, sehen Sie ihm nicht direkt in die Augen.“ Denn das wäre aus Carlos’ Sicht eine Provokation. „Und wenn Sie einen der Hunde intensiv streicheln, kann das die anderen eifersüchtig machen“, sagt Schnoor.

Carlos, der schwarzweiß-braune Entlebucher Sennenhund, schießt tatsächlich sofort auf den Gast zu und bellt. Die Empörung, dass jemand Fremdes in seine Sphäre eingedrungen ist, ist unüberhörbar. Ruhig bleiben, ignorieren. Und tatsächlich, Carlos beruhigt sich.

Bei schlechtem Wetter bietet eine beheizte Halle Schutz

Nebenan, abgeteilt durch ein Kindergitter, steht die imposante Bertha. Die silbergraue Riesenschnauzer-Hündin wedelt erfreut mit dem Schwanz. Salz und Pfeffer heißt ihre Fellfarbe. Gut gewürzt ist auch ihr Temperament. Sie würde den Gast am liebsten gleich beschnuppern. Vorerst muss ein neugieriger Blick übers Gatter ausreichen. „Morgens verteilen wir die Tiere in kleine Gruppen, gewinnen so Struktur in dem Gewusel“, sagt Kirsten Schnoor. Die Morgenstunden seien immer betreuungsintensiv, weil die Hunde sich neu zusammenfinden müssen.

Vor dreieinhalb Jahren eröffnete die Siekerin den Hundekindergarten. Zuvor hat sie eine Ausbildung zur Hundepsychologin und Verhaltenstherapeutin am Institut des bekannten Hundepsychologen Thomas Riepe gemacht. „Nach meinem Abschluss war ich erst einmal zwei Jahre mobil unterwegs, habe meine Kunden zu Hause besucht“, sagt sie. Zuerst betreute sie ausschließlich Hunde von Bekannten und Freunden. Die Zahl der Pensionshunde stieg, sprengte den privaten Rahmen. „Da habe ich den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Ulrike Bensching ist eine von mehreren Helferinnen, die Schnoor unterstützen. Alle arbeiten nebenberuflich. „Sie haben fundierte Kenntnisse in der Hundeerziehung und wie ich einen ausgeprägten Hundetick“, sagt Schnoor mit einem Augenzwinkern.

Die ersten Spaziergänge sind fällig. Jeder Hund bekommt pro Tag mindestens eine ausgedehnte Gassirunde. Jeweils zwei Tiere werden von Ulrike Bensching in die Feldmark geführt. Dort dürfen sie die Gegend erkunden. Das Schnüffeln, das Schnoor als „Zeitunglesen“ bezeichnet, sei besonders wichtig. Denn so fordere man den Tieren Kopfarbeit ab. Die sei genauso wichtig wie die regelmäßige Bewegung.

Bulldogge Abby und die Jagdhündin Hope gehen als erste auf Erkundungstour. Pudeldame Mara jagt derweil die sechs Monate alte Labradorhündin Emma um die Bäume herum. Lordi, ein Golden Retriever, zieht sich zum Dösen unter einen Busch zurück. Carlos, der sensible Riese, bezieht Stellung in einem Zelt und überblickt den ganzen Platz. Lilly, ein Dackelmädchen, genießt die Sonnenstrahlen. Bei schlechtem Wetter bietet eine beheizte, 500 Quadratmeter große Halle Schutz.

Vom Spaziergang zurückgekehrt, marschiert Bulldogge Abby schnurstracks auf ein kleines Wasserbecken zu und versenkt ihren Körper in den Fluten. Eine blonde Frau ruft unterdessen am Zaun nach der Leiterin und erkundigt sich, ob noch ein Platz für ihren Hund frei sei. „So spontan nehmen wir keine neuen Mitglieder auf“, sagt Kirsten Schnoor, bietet aber einen Gesprächstermin an. „Wenn ich einen neuen Hund in die feste Gruppe aufnehmen soll, muss das gut vorbereitet werden“, so die Expertin.

Wichtige Erfahrungen sammelte sie im Vorstand eines Boxerclubs

Zuerst trifft sie sich mit Interessenten zu einem Infogespräch. Der Hund ist immer dabei. „Dann kann ich schon mal beobachten, wie das Tier sich in Gegenwart seiner Halter so verhält“, sagt Schnoor. In diesen Gesprächen frage sie nach dem Umfang der gewünschten Betreuung, ob Ernährungsberatung oder spezielles Training gewünscht wird.

Danach verabredet sie einen Probetag für den Hund – ohne den Besitzer. Erst dann könne sie entscheiden, ob der „Neue“ tatsächlich bleiben darf. „Ich bin kritisch bei den Aufnahmen“, sagt Schnoor. Das Wohlbefinden der festen Gruppenmitglieder habe Vorrang.

Hunde begleiten Kirsten Schnoor schon seit drei Jahrzehnten. „Ich bin mit Boxern groß geworden und habe auch gezüchtet“, sagt sie. Sie saß über Jahre im Vorstand des Boxerclubs. „Die Kenntnisse, die ich dort sammeln durfte, helfen mir heute bei der Beurteilung“, so die Verhaltenstherapeutin.

Zwischen 12 und 15 Uhr ist Ruhezeit im tierischen Kindergarten. Für die Vierbeiner geht es zurück in die Räume. Tatsächlich sucht sich dort jeder Vierbeiner einen Schlafplatz. „Unsere Hunde wissen, dass jetzt nichts Aufregendes mehr passiert“, sagt Kirsten Schnoor. Die Inhaberin nutzt die Zeit für eine Klappstulle und einen Becher Kaffee. „Wir nennen diese Zeit auch scherzhaft meine Sprechstunde“, sagt sie. Immer wieder rufen dann die Besitzer der Hunde an, um ihre Sorgen loszuwerden: Er ist zu dick, sie bellt andere Hunde an, er ist zu ängstlich... Für jeden Anrufer hat Kirsten Schnoor einen guten Rat in petto.

Nachmittags geht es wieder raus. Hundetrainerin Steffi Gerecke kommt: Carlos braucht etwas Feinschliff. Sein Herrchen hat Einzeltraining gebucht. Die Ahrensburgerin nimmt die lange Leine, lässt Carlos schnüffeln. Dann klickt sie die Leine im unteren Ring des Geschirrs ein. „Das ist unser Zeichen für Arbeit“, sagt Gerecke.

Wortlos geht sie los. Carlos versucht sofort, sie zu überholen. Eine leichte Korrektur mit der Leine, dann ist er wieder direkt an ihrer Seite. Er hat verstanden: Sie führt, er folgt. Danach spricht sie über die Fortschritte ihres Schützlings mit Kirsten Schnoor. Zwei Schülerinnen, die sich etwas Taschengeld verdienen, übernehmen die Spaziergänge am Nachmittag.

Es ist früher Abend, und die ersten Hunde werden abgeholt. Königspudel Mara hat ihr Frauchen schon entdeckt. Begeistert läuft Mara auf Stefanie Delz zu und springt auf ihren Arm. Mara hat auch einen Job: Sie ist ein Therapiehund, begleitet ihr Frauchen zu deren Traumapatienten. „Maras Arbeit ist mental extrem anstrengend“, sagt die Logopädin. Und: „Hunde, die bei Komapatienten eingesetzt werden, altern schneller.“ Deshalb darf sich Mara einmal in der Woche in Siek austoben. Eben einfach mal nur Hund sein.

Nach und nach trudeln auch die übrigen Besitzer ein. Für Kirsten Schnoor ist der Arbeitstag allerdings noch nicht zu Ende. Die Spielgeräte und Stühle müssen weggeräumt, die Hinterlassenschaften der Hunde entfernt werden. Dann kann auch sie nach Hause fahren. Zu ihrem Mann, der sie, wie sie sagt, in ihrer Arbeit immer voll unterstützt.

Anders ginge es auch nicht, denn Urlaub hat Kirsten Schnoor seit Jahren nicht gemacht. „Das geht gar nicht. Meine Kunden sind berufstätig und darauf angewiesen, dass wir geöffnet haben“, sagt sie.

Ab und an schaufele sie sich mal ein langes Wochenende frei. Aber das sei alles okay so. „Ich mache schließlich jeden Tag das, was ich am meisten liebe.“ Nämlich ihren Hundetick ausleben.