Am Tag des offenen Denkmals präsentiert Ex-Rosenthal-Vorstand Peter Siemssen sein Haus und seine einzigartige keramische Sammlung

Ratzbek. Für Keramiker in aller Welt ist das Dorf Ratzbek bei Reinfeld ein Sehnsuchtsort. In Stormarn selbst allerdings hat sich weniger als in der internationalen Szene herumgesprochen, welch einen Schatz die Region beherbergt. Nicht allein deshalb ist es also eine gelungene Wahl, das Reetdachhaus der Peter-Siemssen-Stiftung als eine von nur vier Stormarner Attraktionen am bundesweiten Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 14. September, zu präsentieren. Das Motto lautet in diesem Jahr „Farbe“, und das passt ideal zu dem, was den überraschten Besucher hinter der prächtigen Fassade des mehr als 350 Jahre alten reetgedeckten Fachwerkhauses an der Dorfstraße erwartet – nämlich ein Ort, der einen besonders guten Überblick über die vielfarbige Welt der Keramik bietet.

Dass die Stiftung ein offenes Haus führt, ist offensichtlich, als die Haustür geöffnet wird. Uns empfangen die chinesische Keramikerin Yin Hang, ihr kleiner Sohn und ihre Mutter. Um die Ecke modelliert die junge Keramikerin Sun Yue in der Werkstatt eine Plastik aus Limoges-Porzellan. Sun Yue ist Stipendiatin der Peter-Siemssen-Stiftung und arbeitet etwa zwei Monate lang in Ratzbek. Yin Hang war dort Stipendiatin und ist seither gern gesehener Gast. Sie führt uns rasch zum Hausherrn.

Peter Siemssen wartet im Wohnzimmer und erzählt, dass hier einst der Stallbereich des Zweiständerhauses war. Er hat das historische Bauernhaus vor mehr als vier Jahrzehnten gekauft, als Wochenenddomizil seiner Familie. Siemssen hat das unter Denkmalschutz stehende Gebäude in mehreren Etappen aufwendig saniert und umgebaut – besonders nachhaltig Anfang der 2000er-Jahre, als der frühere Heuboden zu einem einzigartigen Ausstellungsraum wurde und im Erdgeschoss eine gut bestückte Werkstatt mit zwei Öfen für Keramiker entstand. 2001 gründete er die Peter-Siemssen-Stiftung, die im Wortsinne unter einem Dach vieles ermöglichte: den Betrieb einer Galerie, die Bewahrung einer umfangreichen Sammlung, die praktische Arbeit von Stipendiaten, die von der Stiftung eingeladen und finanziert werden, und nicht zuletzt ein Familienleben, das durch viele Gäste bereichert wird. Wie seine Gäste vom Aufenthalt profitieren, erzählen die beiden Keramikerinnen aus China: „Es gibt hier eine große Freiheit des Arbeitens, in einer schöne Landschaft und mit netten Menschen“, sagt Sun Yue. Und Yin Hang ergänzt: „Wir sprechen sehr gern mit Peter, er hat Erfahrung und versteht viel von Kunst – und von Marketing.“

Peter Siemssen ist ein Homo ceramicus, ein Mensch, der seine Leidenschaft für künstlerisch hergestellte Keramik lebt. Bereits sein Großvater handelte mit Porzellan, sein Vater hatte ein Fachgeschäft in Dortmund. Peter Siemssen landete ebenfalls in der Branche und machte rasch Karriere, weil der unkonventionelle Porzellanfabrikant und SPD-Politiker Philip Rosenthal ihn früh förderte. Siemssen war schon in jungen Jahren für die Rosenthal-Studiohäuser verantwortlich, und er stieg zum Vorstand des Unternehmens auf. Peter Siemssen erzählt von der großen Freiheit, die er hatte, als er in Mexiko oder in Südostasien unterwegs war, auf der Suche nach authentischer Volkskunst: „Einmal galt ich bereits als verschollen. Nach meiner Rückkehr fragte mich Philip Rosenthal, wo ich denn abgeblieben sei. Ich lud mich bei ihm zum Essen ein und präsentierte ihm den Inhalt mehrerer Koffer. Meine Entdeckungen überzeugten ihn davon, dass ich richtig entschieden hatte.“

Sozusagen die Blaupause für sein erfolgreiche Arbeit war das Rosenthal-Studiohaus in Hamburg, wo Siemssen im Obergeschoss mit Ausstellungen – zum Teil in enger Zusammenarbeit mit dem Museum für Kunst und Gewerbe – neben dem Handel mit seriell Hergestelltem ein Forum für die in Unikaten gefertigte künstlerische Keramik schuf. Siemssen machte einige Kunden zu Sammlern. Er selbst war längst infiziert durch die Bekanntschaft mit Keramikern und Designern, die er in ihren Werkstätten besuchte und von denen viele zu Freunden wurden. Zuallererst Gilbert Portanier in Vallauris, von dem Picasso sagte, dass jedes seiner Stücke in ein Museum gehöre.

Peter Siemssen hat in Ratzbek dieses Museum als einen lebendigen Ort des Austausches gebaut. Wer sich anmeldet, kann sich Haus und Teile der Sammlung ansehen. Zudem gibt es wechselnde Ausstellungen, in denen Siemssen seine Schätze in wechselnden Kombinationen zeigt: vor allem Werke von Portanier, daneben die besten Beispiele der mediterranen, skandinavischen, westeuropäischen und nordamerikanischen Keramik, aber auch Klassiker aus Japan, Stücke der Familie Hamada und von Tatsuzo Shamaoka sowie vom kürzlich verstorbenen Freund Gerd Knäpper, der in Japan lebte und arbeitete. Und selbstverständlich viele Arbeiten von deutschen Keramikern.

Es ist bezeichnend, dass Siemssen oft nicht das ausstellte und kaufte, was bereits durchgesetzt war, sondern Talente früh förderte. „Da ist viel Bauchgefühl dabei“, sagt er und hat sofort eine Anekdote parat, die ihn auch als cleveren Verkäufer ausweist. Nachdem er einige Stücke der ostdeutschen Keramikerin und begabten Fayencen-Malerin Sonngard Marcks gesehen habe, sei er spontan zu ihr ins brandenburgische Nirgendwo gefahren und habe alles Vorrätige sofort für Rosenthal erworben. „Als sie mir sagte, dass sie jetzt nichts mehr für eine Messe habe, zu der sie angemeldet war, riet ich ihr, dennoch zu fahren und alles mit roten Verkaufspunkten zu kennzeichnen.“ Sonngard Marcks’ Vitrine sorgte auf der Messe für Aufsehen, und sie wurde auf einen Schlag in der Szene bekannt.

Der Hamburger Museumsmann Rüdiger Joppien hat Peter Siemssen einen „geborenen Vermittler“ genannt. Am Sonntag können sich viele neue Besucher davon überzeugen.