Die erste Reaktion ist eindeutig und hoch emotional: Die spinnen doch.

Die, das sind in diesem Fall die Entscheider in der Kreisverwaltung. Wie können die jetzt plötzlich die blauen Schilder abbauen lassen und die Radfahrer auf die Straße zwingen? Unmöglich. Unverantwortlich. Da werden jahrzehntelang Radwege gebaut. Da haben Gemeinden um diese Wege gekämpft, um ihren Bürgern bei steigendem Verkehrsaufkommen mehr Sicherheit zu geben. Und dann das. Gerade auf dem Land kann so eine Radpartie zwischen den Dörfern gefährlich werden – vor allem, wenn nicht nur ein Radweg, sondern auch noch die Straßenbeleuchtung fehlt. War das denn alles Irrsinn? Oder hat der jetzt begonnen?

Auf den zweiten Blick sieht die Sache etwas anders aus. Denn nicht der Kreis hat entschieden, sondern der Gesetzgeber. Und der hat lediglich die Pflicht aufgehoben, auf dem Radweg fahren zu müssen – und damit grundsätzlich erlaubt, auf der Straße fahren zu dürfen. Und das kann in der Tat sinnvoll sein. Schmale Radwege mit Riesenschlaglöchern und Baumwurzeln sind auch gefährlich.

Keinem Autofahrer würde man so etwas zumuten. Aber selbst, wenn sich die meisten von ihnen hin und wieder auch aufs Rad schwingen und das Problem kennen: Sitzen sie hinterm Steuer, hört der Spaß auf. Für beide Seiten. „Wieso fährt der Idiot im Schneckentempo auf der Straße?“, schimpft der eine. „Wieso hupt der Idiot?“, schimpft der andere. Im schlimmsten Fall kracht es.

Das veränderte Gesetz ist also kein Allheilmittel. Ohne vernünftige Fahrweise und gegenseitige Rücksichtnahme aller ist nichts gewonnen. Dennoch stärkt die neue Lage die Radfahrer, die jetzt eigenverantwortlich Gefahrensituationen abschätzen und zwischen Straße und Radweg wählen können. Schlecht wäre es allerdings, wenn hinter allem der Versuch der öffentlichen Hand stecken würde, sich vor der Reparatur katastrophaler Radwege zu drücken. Dann hätten die Radfahrer bald keine Wahl mehr und würden faktisch doch auf die Straße gezwungen. Das wäre wirklich Irrsinn.