Vereine kritisieren Leistungskürzung des Kreises für Behinderte. Betroffene fühlen sich ungleich behandelt

Reinbek/Bad Oldesloe. Behinderte Menschen in Stormarner Pflegeeinrichtungen, die bisher den Fahrdienst des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) genutzt haben, sind empört über die Leistungskürzung des Kreises. Und nicht nur sie. Auch Vereine äußern Bedenken über die Entscheidung, Heimbewohner künftig von diesem Service auszuschließen. „Unter den Betroffenen ist die Aufregung groß. Der Dienst ist für sie sehr hilfreich und wichtig, um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, auf die sie ein Recht haben, auch umzusetzen“, sagt Ursula Johann, Geschäftsführerin des Vereins Lebenshilfe Stormarn.

Behinderte Heimbewohner waren laut Kreisverwaltung von Beginn an nicht teilnahmeberechtigt. Trotzdem hatte der Kreis dies jahrelang anders gehandhabt (wir berichteten). Seit einem Monat gilt die überarbeitete Richtlinie des Kreises nun. In Widerrufsbescheiden heißt es zur Begründung: „Der Kreis leistet Zahlungen an die Einrichtung für die gesellschaftliche Teilhabe. Die Nutzung des Fahrdienstes ist daher für diesen Personenkreis nicht weiter vorgesehen, auch um aus Gründen der Gleichbehandlung eine zweifache Vergünstigung auszuschließen.“

Nachvollziehen könne Johann dieses Argument in keiner Weise, wie sie sagt. „Das Geld vom Kreis ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Einrichtungen müssten personell ganz anders ausgestattet werden, um so eine Leistung anzubieten.“ Von einer zweifachen Vergünstigung könne gar keine Rede sein. „Im Gegenteil. Die Menschen werden in ihrer Selbstbestimmtheit eingeschränkt. Wirkliche Gleichbehandlung muss alle umfassen.“

Die Geschäftsführerin des Lebenshilfe-Vereins kritisiert auch die grundsätzliche Sparpolitik bei Leistungen für Behinderte. „Da wird an allen Ecken und Enden gespart – auch in den nächsten Jahren. Inklusion wird hier so ausgelegt, als könnte man Behinderte behandeln wie alle anderen. Sie brauchen aber bestimmte Leistungen, die Geld kosten.“ Schließlich gehe es dem Kreis finanziell nicht schlecht.

Sozialausschuss-Vorsitzende weist die Kritik zurück

Diese Art der Kritik möchte Margot Sinning (SPD) nicht auf sich sitzen lassen. Die Vorsitzende des Kreissozialausschusses sagt: „Als es dem Kreis vor Jahren finanziell sehr schlecht ging, haben wir diesen Topf nicht angerührt. Das ist eine freiwillige Leistung, die andere Kreise gar nicht anbieten.“ Sie gibt aber zu bedenken, dass – wenn das Land Schleswig-Holstein weiterhin Sozialleistungen kürze – Stormarn nicht einfach einspringen könne.

Ursula Johann befürchtet, dass sich die Zahl der Nutzer des ASB-Dienstes nun so weit reduziert, dass der Kreis die Unterstützung irgendwann ganz einstellen könnte. Dem Kreis sei vorher bekannt gewesen, dass eine große Zahl der Nutzer Heimbewohner sind. Trotzdem habe er die Leistung gekürzt, sagt sie. Tatsächlich hat die Kreisverwaltung für die Jahre 2012 und 2013 ermittelt, dass nahezu 50 Prozent der Nutzer Heimbewohner waren. Der ASB-Regionalverband Stormarn-Segeberg spricht sogar von bis zu 70 Prozent. Die Nutzerzahl wird also erheblich sinken. Sinning entgegnet: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist sich die Stormarner Politik einig, die Unterstützung des Fahrdienstes auch weiterhin beibehalten zu wollen.“

ASB hat vergangenes Jahr 15.000 Euro für den Fahrdienst zugeschossen

Menschen wie Mathias Gebers hilft das leider nicht. Auch er hat einen Widerrufsbescheid bekommen. Der 29Jahre alte Schwerbehinderte lebt in einer Pflegeeinrichtung in Ahrensburg. Seine Mutter Margit Gebers ist verzweifelt. „Mathias hat den Dienst einmal im Monat genutzt, um mich in Reinbek zu besuchen. Er hat nur noch mich. Sein ebenfalls schwerbehinderter Bruder ist verstorben, der Vater besucht ihn nicht mehr.“ Die 61-Jährige hat versucht, für ihren Sohn einen Platz in einer Einrichtung in ihrer Nähe zu bekommen – vergeblich. Nun hat sie Angst, dass er abbaut, wenn der Kontakt zwischen ihnen weniger wird. „Ich bin selbst gesundheitlich angeschlagen und kann ihn deshalb immer seltener besuchen.“

Margot Sinning: „Ich kann verstehen, dass die betroffenen Menschen verärgert sind. Aber die Heimbewohner haben auch die Möglichkeit, ihre Rechte über den Heimbeirat durchzusetzen.“ Es gebe außerdem die Möglichkeit, über die Eingliederungshilfe des Kreises ein persönliches Budget für solche Fahrten zu beantragen. Auf der Internetseite des Kreises heißt es dazu: „Die leistungsberechtigte Person kann auf Antrag Geldleistung erhalten, mit denen sie die Leistung, die zur Abwendung der Teilhabeeinschränkungen benötigt werden, selber einkauft.“

„Das ist geradezu zynisch, den Betroffenen die Verantwortung zuzuschieben. Die Politik verkennt die Realität, wenn sie glaubt, solche Leistungen wären mit den in Stormarn üblichen Vergütungssätzen für Pflegeeinrichtungen möglich“, sagt Ursula Johann. Sie bezweifelt außerdem, dass Betroffene mit dem persönlichen Budget, das individuell mit dem Kreis auszuhandeln sei, auskommen würden.

Wolfgang Mainz, Geschäftsführer des ASB Regionalverbandes Stormarn-Segeberg, sagt: „Wer auf eigene Kosten fährt, zahlt rund einen Euro pro Kilometer. Und das ist nicht einmal kostendeckend.“ Im vergangenen Jahr habe der ASB rund 15.000 Euro zugeschossen, um den Dienst anzubieten. „Die Entscheidung der Politik kommt uns also zugute – auch, weil wir den Fahrern nun einen Mindestlohn von 9,18 Euro zahlen müssen.“

Sinning: „Es ist ein Testlauf, nach dem sich herausstellen wird, wie der Bedarf tatsächlich aussieht und ob Änderungen an der Richtlinie nötig sind.“