Kunst bewegt. So wie der Muschelläufer. Als er 2005 auf dem Ahrensburger Rondeel Position bezog, schwappte eine Welle der Empörung über ihn, während in der Stadt über die Frage gestritten wurde: Was darf Kunst? Jetzt hat jemand dem Muschelläufer ein schwarzes Bärtchen auf die Oberlippe gemalt. Jetzt fragt er: „Was muss Kunst eigentlich aushalten?“ Abendblatt-Redakteurin Martina Tabel hat seine Gedanken aufgezeichnet.

Hier stehe ich und kann nicht anders. Mein Schöpfer hat mich nicht gefragt. Da geht es mir wie allen anderen. Mit einem Unterschied: Ich kann wirklich nicht. Es sieht so aus, als wäre ich auf dem Sprung. Aber ich bin festgewurzelt. So paradox es klingt: Das ist meine Daseinsberechtigung. Ich bin zum Bestaunen freigegeben. Weglaufen ist nicht. Ich muss mich stellen.

Es gab Podiumsdiskussionen über mich. Ich war Thema einer Einwohnerversammlung. Sogar ein Bürgerentscheid über mich war geplant. Und bei der vom Kinder- und Jugendbeirat neu kreierten Disziplin Muschellauf hatten die Leute richtig Spaß. Gut so. Ich soll Menschen erfreuen, Menschen verwirren und aus der Reserve locken. Das ist mir bisher gut gelungen: Ich bin ein Kunstwerk. Ich muss provozieren.

Das Rondeel ist menschenleer. Die Geschäfte haben noch nicht geöffnet. Es ist langweilig. Und ich kann nicht weg. Aber es nützt nichts. Ein Blaumann muss das aushalten. Diesen Namen haben mir übrigens die Ahrensburger verpasst, weil ich einen blauen Anzug anhabe. So ein Quatsch. Für meinen Schöpfer bin ich ein Muschelläufer. Aber das ist natürlich auch Quatsch. Schließlich stehe ich auf einer Schnecke, bin also Schneckenläufer. Vermutlich ist mein Erbauer nicht so gut in Biologie. Im Anmischen eines wetterbeständigen Kunststoffs ist er zum Glück genial. Sonst hätte ich nicht überlebt.

Warum ich ausgerechnet so unübersehbar auf dem Rondeel stehe? Die Rotarier wollten Ahrensburg Gutes tun und gaben Geld für einen Wettbewerb. Aber nur unter der Bedingung, diesen wunderbaren Platz zu verschönern. Insofern hat es schon seine Richtigkeit. So schön wie ich bin, mit meinem goldgelbem Haar und dem markanten Gesichtszügen. Ich weiß, es gibt andere Meinungen. Auf jeden Fall gewann mein Schöpfer den Wettbewerb. Also stehe ich hier und tue mein Bestes.

Wenn ich es recht sehe, wird der Himmel heute wieder blauer als mein Anzug. Herrlich. Winter ist nichts für mich. Mein Kunststoffkörper hat geächzt. Ein Wunder, dass der Frost mich nicht zerrissen hat. Fieberglas ist biegsam. Sonst wäre meine Hand schon abgefallen. Irgendein Witzbold hatte sie verletzt. Behandelt ist das bis heute nicht. Die Wunde wurde nur notdürftig versorgt. Mein Schöpfer hätte mich wieder richtig heil gemacht. Aber der ist zu teuer. Seit 2010 wird deswegen nur noch an mir rumgeflickt. Beim Reparieren einer kaputten Wasserleitung wird Höchstes gefordert. Bei der Kunst offenbar nicht. Es sei denn, man ist die Mona Lisa. Aber dieses liebliche Lächeln ist mir nun mal nicht gegeben. Ich bin ein Mann. Trotzdem möchte ich mindestens genauso pfleglich behandelt werden wie eine kaputte Wasserleitung. Ist das zu viel verlangt?

Leicht ist mein Job nicht. Mein Fuß wurde schon mit roter und grüner Farbe beschmiert, mein Gesicht schwarz angemalt. Ich habe mit knapper Not jenen Silvester-Sprengstoff-Anschlag überlebt. Man hat versucht, mich mit einer Brechstange vom Sockel zu kippen. Man hat mir eine Clowns-Maske und ein Papier-Zipfelmütze aufgesetzt. Auch das tut weh. Aber ich kaschiere das. Die eine Hand lässig in der Hosentasche, den Blick geradeaus gerichtet, lasse ich mir den Stress nicht anmerken. Vor Weihnachten war jemand mal so lieb, mir eine rote Mütze auf den Kopf zu setzen. Aber es blieb ein fader Nachgeschmack. Da wollte mich wohl doch jemand lächerlich machen. Das muss man abkönnen. Als Kunstwerk ignoriert zu werden, wäre das Ende.

Bis jetzt habe ich nicht das Schicksal anderer Skulpturen teilen müssen, geschreddert auf den Müll geworfen zu werden. 70 Jahre besteht das Urheberrecht. Ich bin erst neun. Also genieße ich noch Artenschutz. Und das heißt: Ich habe das Recht auf meinen angestammten Platz. Für das Rondeel war der Wettbewerb ausgeschrieben, und das gilt. Es sei denn, Bildhauer Wolke wäre einverstanden, wenn eine nicht auszuschließende erneute Empörungswelle mich vor das Badlantic spülen würde. Dort, so hieß es schon einmal, wäre ich an der richtigen Stelle. Prominent, aber ab vom Schuss.

Ich sollte auch tatsächlich schon mal zum Bahnhof umgesiedelt werden. Den Beschluss gab es. Mein Schöpfer wäre auch einverstanden gewesen, wenn er über die zukünftige künstlerische Gestaltung des dann kunstfreien Rondeels hätte mitsprechen können. Seine Forderung: ein Planungshonorar von 2000 Euro. Sollte man ihn nicht an der Planung beteiligen, wollte er meinen Abtransport nur erlauben, wenn er eine Entschädigung in Höhe meiner Kosten erhalten hätte: 25.000 Euro. Das war’s dann. Zumal meine Reise zum Bahnhof die Stadtkasse schon mit bummelig 10.000 Euro belastet hätte. Für eine Strecke von 300 Metern! Dagegen sind die Fahrpreise der Bahn nun wirklich ein Schnäppchen. Aber die Leute meckern ja über alles.

Weil der verwegene Umzugsplan nicht aufging, überlegte man ernsthaft, meinen Herren und Gebieter mit einer Klage dazu zu zwingen, mich vom Rondeel entfernen zu lassen. War auch nix. Daraufhin hat mich eine Karikaturistin zum Mond geschossen – aber nur im Bilderbuch. Und das war wohl eher ein Schuss in den Ofen. Ich bin noch da.

Mittlerweile hat sich der Sturm gelegt. Eigentlich merkwürdig. Sind die Leute so vergesslich? Oder hat die Kunst doch nicht so eine nachhaltige gesellschaftliche Sprengkraft? Vielleicht bin ich mittlerweile aber auch ein ganz normaler Ahrensburger Bürger geworden und habe deswegen meinen Durchbruch als Image-Produkt der Stadt noch nicht geschafft. Ganz schön dumm. Mit meinem Konterfei könnte ein pfiffiger Werbemann richtig Geld machen. Ich habe Gespräche belauscht, in denen es um eine Mini-Acryl-Version von mir ging, die angeblich auf dem Schreibtisch der Ex-Bürgermeisterin Ursula Pepper gestanden haben soll. Mein Schöpfer Martin Wolke hat mich Vier-Meter-Hünen mal in eine Mini-Bronze verwandelt, in eine zwölf Zentimeter hohe Replik. Das hatte Qualität. Und seinen Preis: 750 Euro. Ging glaube ich nicht so gut. Aber ehrlich gesagt, zu einem Exportschlager oder zu reiner Dekoration zu verkommen, wäre für ein Kunstwerk wirklich der Tod.

Was für düstere Gedanken in dieser sommerlichen Zeit. Oh, den Mann da hinten kenne ich. Das ist mein schärfster Kritiker. Wenn der vorbeikommt, wird mir selbst bei Sonnenschein ganz kalt. Diesmal kein Blick. Das ist auch eine Art des Abstrafens. Da ist es ein schönes Gefühl, dass die Kinder auf mir rumturnen und Spaß haben. So war das ja auch gedacht. Ich sollte nicht nur schön sein, sondern auch ein Spielgerät. Die Kleinen haben das sofort kapiert.

Neulich hat mir jemand ein schwarzes Bärtchen auf die Oberlippe gemacht. Immerhin bin ich also noch so sexy, dass man Notiz von mir nimmt. Auf das Bärtchen hätte ich allerdings gern verzichtet. Andere offensichtlich auch. Es wurde abgerubbelt, ging aber nicht richtig weg. Jetzt bildet es einen merkwürdigen dunklen Flaum unter meiner Nase. Ganz zart. Aber immer noch sichtbar. Geht so was nicht weg? Kommt das immer wieder? Es bedeutet auf jeden Fall nichts Gutes.

Ich halte das alles aus. Aber was wollt ihr eigentlich von mir? Ich bin ein Spielgerät für die Kleinen und eine Projektionsfläche für die Großen. Ich bin ein Blickfang. Ich bin ein Fantasieanreger. Auch für meinen Schöpfer, die Kieler Sprotte, dem ich soweit ich das noch erinnern kann, verdammt ähnlich sehe. Ich bin eine in Kunststoff gegossene Idee. Das Produkt eines kreativen Prozesses. Eine Erscheinung. Ein Erheiterer. Ein Mahner. Ein Mann des Anstoßes, der etwas in der Stadt bewegt hat. Und das alles, obwohl ich hier nur so rumstehe. Das muss mir erst einmal jemand nachmachen.

Dass ich im Februar 2007 spurlos vom Rondeel verschwand, mutete manchen wie ein Zauberkunststück an. Aber ich war bald wieder zurück, mit repariertem Fuß. Mein Schöpfer höchstpersönlich durfte damals noch ran und die vom Silvesterknaller zerstörte Fußsohle für 6500 Euro heilen. Eigentlich wollte er 10.000 Euro haben. Für Qualitätsarbeit wäre das sicher in Ordnung gewesen. Um des lieben Friedens willen verzichtete mein Schöpfer locker auf ein paar Tausend Euro. Dabei lebt auch ein Künstler nicht nur von Luft und Liebe. Kaum repariert, war ich jedenfalls schwuppdiwupp wieder da. Jetzt stehe ich hier und kann wirklich nicht anders.