Bernd Richard Deutsch bekommt im Schloss Reinbek den Hindemith-Preis

Reinbek. Zeitgenössische Musik hat es schwer. Kein Mozart, kein Bach – kein ausverkauftes Haus. Der Festsaal des Reinbeker Schlosses war nur halb gefüllt. Dafür war die Erwartung derjenigen, die zur Verleihung des mit 20.000 Euro dotierten Hindemith-Preises gekommen waren, besonders hoch.

Wer ist der Österreicher Bernd Richard Deutsch? Und was kann er? Skepsis mischte sich mit Vorfreude beim Stormarner Auftakt des Schleswig-Holstein Musik Festivals, das im 25. Jahr der Auszeichnung die Verleihung des international renommierten Komponistenpreises wieder nach Reinbek gebracht hat – zurück „nach Hause“, wie viele Zuhörer sagten.

Das Publikum war auf diese Heimkehr vorbereitet. „Zeitgenössische Musik ist in meinem Herzen noch nicht angekommen. Aber ich möchte die modernen Klangbilder besser verstehen“, sagte Hermann Becker. Neben ihm seine Frau Frau Anne. „Eigentlich lege ich mich gern richtig rein in die Harmonien“, sagte sie. „Ich bin gespannt.“ Genauso wie die Hauptperson des Abends.

Bernd Richard Deutsch saß zwischen den Honoratioren in der ersten Reihe: ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit Korkenzieher-Locken, die ihm eigensinnig immer wieder vor die Augen fielen und so etwas wie einen optischen Vorgeschmack auf seine verspielte, vorwitzige Musik gaben – die bei allem Verdrehten dem Nathan Quartett ein Höchstmaß an Virtuosität und Perfektion abverlangte. Unglaublich, wie sich Ensemble das Streichquartett Nr. 2 von Deutsch so schnell angeeignet hatte und sich und die Zuhörer souverän durch die gewagte Klangwelt steuerte. Inklusive Füßestampfen und Schreien, die das hoch konzentrierte Publikum wie akustische Peitschenschläge erwischten. Manchen blieb der Mund offen stehen.

Direkt vor den Musikern der wohl aufmerksamste Zuhörer: der Komponist. Wer es nicht wusste, konnte nicht erkennen, dass er der Auserwählte war. Höchstens daran, dass er vor Nervosität oder Konzentration immer wieder die Augen schloss. Und an dem Lächeln, das ihn den ganzen Abend nicht verließ. Das kündete sympathischerweise weniger von Siegestaumel als von Offenheit, erfrischendem Selbstbewusstsein ohne die Spur von Arroganz und von dem Glück, das ihn erfüllte. „Ich war total überrascht, als ich die E-Mail erhielt. Das ist die höchste Auszeichnung, die ich bisher bekommen habe. Ich freue mich“, sagte der 37-Jährige noch ganz berauscht von dem Konzert beim Plausch in lauer Sommerluft.

Begonnen hatte der Abend mit einer Begrüßung des Festival-Intendanten Christian Kuhnt, der alles Staatstragende vermied. „Bei der Durchsicht guter Werke bleibt man mit einem Ohr hängen“, sagte Kuhnt. „Bei der Musik von Deutsch sind wir mit beiden Ohren hängen geblieben. Und weil sie da so gut aufgehoben sind, verbinden wir den Preis mit einem Kompositionsauftrag.“

Das ist neu. Genauso wie die Tatsache, dass sich die Stadt Hamburg mit 5000 Euro am Preis beteiligt. Der Hauptteil der Fördersumme kommt von vier Stiftungen. „Deren Einnahmen speisen sich von Tantiemen“, sagte der Leiter des Musik-Referats der Hamburger Kulturbehörde, Alexander Steinhilber. Da die Wirtschaftskrise die Wechselkurse verschlechtert habe, gleiche Hamburg die Mindereinnahmen aus. „Auch weil wir unsere Verbindung zu Schleswig-Holstein zum Ausdruck bringen möchten.“

Wie sehr er den Komponisten schätzt, brachte Gerhard R. Koch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit seiner etwas wortgewaltigen und doch pointieren Laudatio zum Ausdruck. „Ich habe das nicht alles verstanden“, sagte eine Zuschauerin. Der Hauch des Elitären verflüchtigte sich aber sofort, als die Musik erklang. Die Laudatio erwies sich als absolut plausibel. Das Geisterhafte wurde tatsächlich mit flirrenden Tönen hörbar und das perkussive Grundkonzept sicht- und spürbar, als die Musiker mit Hand und Bogen auf die Instrumente klopften.

Und noch etwas zeigte sich: eine ähnliche Sprache wie Hindemith, dessen Musik das Publikum zuvor gelauscht hatte – mit einem Schmunzeln. „Der Humor spielt auch bei mir eine Rolle“, sagte der Preisträger. So hat er seinem wohl nicht immer zu bändigendem Hund mit seiner Komposition „Mad Dog“ ein Denkmal gesetzt – mit musikalischem Pfiff. Was er im Auftrag des Festivals komponieren wird, weiß er auch schon: ein Stück für zwei Klaviere und zwei Schlagzeuge.

„Seine Musik ist von unglaublicher Qualität“, sagte Jury-Mitglied Hermann Rauhe. „Und sie ist anhörbar und emotional.“ Das sagte der Fachmann. Und das Publikum? „Ich konnte mich tatsächlich reinlegen“, sagte die begeister Zuhörerin Anne Becker nach dem Konzert. Zeitgenössische Musik hat es schwer. Aber sie kann überzeugen, wenn sie eine Chance bekommt.