Ahrensburg. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hat bis auf Weiteres alle geführten Radtouren in Stormarn abgesagt. „Wir müssen unsere Tourenleiter schützen, damit sie nicht Gefahr laufen, eine Ordnungswidrigkeit zu begehen“, sagt der stellvertretende ADFC-Kreisvorsitzende Jürgen Hentschke aus Ammersbek, der auch Sprecher der Ahrensburger Ortsgruppe ist. Er reagiert damit auf eine Empfehlung des Landesverbands.
Der Landesvorsitzende Heinz-Jürgen Heidemann aus Kellinghusen (Kreis Steinburg) erklärt: „Vom Verkehrsministerium in Kiel erhielten wir vor einigen Wochen die Mitteilung, dass für ganz oder teilweise über Landes- oder Bundesstraßen geführte Fahradtouren unabhängig von der Teilnehmerzahl vorab eine gebührenpflichtige Erlaubnis beantragt werden muss.“ Die werde von den Verkehrsbehörden der Kreise ausgestellt und koste durchschnittlich 50 Euro.
Heidemann weiter: „Der Tourenverlauf ist detailliert anzugeben und ebenfalls die erwartete Teilnehmerzahl. Nicht auf diese Art angemeldete Touren stellen eine Ordnungswidrigkeit dar, ebenso ein Abweichen von der bestätigten Route.“ Es sei nicht mehr möglich, von der Strecke abzuweichen, selbst wenn ein Wetterumschwung das eigentlich erfordere. „Das kann zu einem Problem werden, falls im Zusammenhang mit Fahrradtouren Haftpflichtansprüche gegenüber Tourleitern geltend gemacht werden und nachgewiesen wird, dass keine Erlaubnis vorlag.“ Der ADFC-Landeschef zieht in Zweifel, dass in so einem Fall die Haftpflichtversicherung des Tourleiters zahle.
Bislang haben die Ortsgruppen ihre Radtouren in aller Regel nicht genehmigen lassen. Heidemann schlussfolgert: „Die ehrenamtliche Arbeit im ADFC wird damit erheblich erschwert.“ Und der Landesvorsitzende der Piratenpartei, Christian Thiessen, spricht bereits von einer „neuen Regelung“, „engstirniger Auslegung von Regeln“, „ganz gewaltig wieherndem Amtsschimmel“, „Abzocke am Radesrand“ und „Fahrradmaut“.
Die Regelung, um die es hier geht, ist der Paragraf 29 der Straßenverkehrsordnung, in dessen Absatz 2 es heißt: „Veranstaltungen, für die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, bedürfen der Erlaubnis. Das ist der Fall, wenn die Benutzung der Straße für den Verkehr wegen der Zahl oder des Verhaltens der Teilnehmenden oder der Fahrweise der beteiligten Fahrzeuge eingeschränkt wird.“ Details dazu regelt die entsprechende Verwaltungsvorschrift unter Absatz 1, Nummer 2b. Wortlaut: „Erlaubnispflichtig sind Radtouren, wenn mehr als 100 Personen teilnehmen oder wenn mit erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen (in der Regel erst ab Landesstraße) zu rechnen ist.“
Harald Haase, Sprecher des von ADFC und Piraten gescholtenen Verkehrsministeriums in Kiel, kann die Aufregung überhaupt nicht nachvollziehen. „Wenn ein Veranstalter bei seiner Tour weniger als 100 Teilnehmer hat, interessiert das keinen. Und wenn er sich bemüht, Bundes- und Landesstraßen zu meiden, dann interessiert das auch keinen.“ Außerdem gebe es entlang 80 Prozent aller Bundes- und entlang 60 Prozent aller Landesstraßen in Schleswig-Holstein Radwege. Auch dafür sei keine Genehmigung erforderlich. Ebenso wenig für den Fall, dass eine Tour über eine kurze Strecke Bundes- oder Landesstraße führe, weil sie etwa überquert werden müsse oder weil der Radweg vor einer Ortschaft ende und erst dahinter weitergehe. „Und wenn eine Gruppe wegen eines Gewitters vier Kilometer Bundesstraße fährt, um schnell den nächsten Gasthof zu ereichen, dann ist das eben so.“ Das sei alles eine Ermessensfrage.
Eine Genehmigung einzuholen hält Haase hingegen für sinnvoll, „wenn jemand seine Tour so plant, dass er unbedingt mit Rübenlastern und Treckern konkurrieren will“. Allerdings liege es an den Kreisverkehrsbehörden, Genehmigungen zu erteilen. Und Paragraf 29 der Straßenverkehrsordnung, eine bundeseinheitliche Norm, gelte seit fünf Jahren unverändert. Das Land habe damit gar nichts zu tun.
Und was ist mit der von ADFC-Chef Heidemann angesprochenen Mitteilung? Haase: „So etwas gibt es nicht.“ Heidemann selbst räumt auf Nachfrage ein, dass die „Mitteilung“ eine Antwort-E-Mail aus dem Ministerium auf eine Frage gewesen sei, die er selbst gestellt habe. Er habe nach Paragraf 29 gefragt, der Ministeriumsmitarbeiter habe ihn erklärt und geraten, bei Unsicherheit lieber eine Erlaubnis zu beantragen.
Jürgen Hentschke vom Stormarner ADFC hat bald einen Termin bei der Kreisverkehrsbehörde. Er sagt: „Ich bin sicher, dass wir die Kuh vom Eis bekommen.“
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