20-Jähriger hortete zu Hause Sprengstoff und jagte im Kreis Segeberg einen Zigarettenautomaten in die Luft

Ahrensburg. Von der Wirkung seines Auftretens versteht Ulf Thiele, seines Zeichens Richter am Amtsgericht Ahrensburg, etwas. „Wenn Sie noch einmal etwas anstellen“, sagt er mit tiefer Stimme und zieht dabei jede Silbe des letzen Wortes in die Länge, „dann geht’s in den Knast.“ Dann schweigt der Mann in der schwarzen Robe eine Weile und fixiert sein Gegenüber noch einige Augenblicke über den Rand seiner Lesebrille.

Vor ihm sitzt ein junger Mann, der Sprengstoff gekauft, damit experimentiert und schließlich einen Zigarettenautomaten in die Luft gesprengt hat. Er schweigt und knetet nervös seine Finger. Sein jungenhaftes Gesichtes läuft rot an.

Mit Sprengstoff im Wert von sieben Euro fängt alles an

Der 20-jährige Oldesloer ist in drei Anklagepunkten schuldig gesprochen worden: Verstoß gegen das Sprengstoff- sowie das Waffengesetz und Diebstahl. Dafür gibt’s eine Jugendstrafe, ausgesetzt zur Bewährung. Zwei Jahre darf er nicht auffällig werden, muss in dieser Zeit zehn Gespräche mit einem Pädagogen führen, dreimal eine Drogenberatung besuchen und 60Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. Bei Verstoß gegen die Auflagen droht ein Ungehorsamkeitsarrest von maximal vier Wochen, bei erneuter Straftat eine Gefängnisstrafe, über deren Dauer neu verhandelt werden müsste.

Die Geschichte beginnt 2012 mit dem Kauf von Sprengstoff im Wert von sieben Euro. Im Internet ordert der damals 18-Jährige das explosive Material. Mit einem Kumpel fährt er anschließend in das 574-Einwohner-Örtchen Klein Gladebrügge im Kreis Segeberg. Dort schiebt er, so gibt es der Angeklagte bei seiner Befragung vor Gericht zu, den Sprengstoff in die Warenausgabe eines Zigarettenautomaten und zündet ihn. „Ich hatte plötzlich Sprengstoff und wollte wissen, wie es knallt“, sagt der junge Mann über seine Motivation. „Wir haben den Automaten ausgewählt, weil das nächste Wohnhaus 25 Meter entfernt ist und wir geglaubt haben, dass keine Personen zu Schaden kommen könnten“, sagt er.

Nach der Explosion sammeln die Freunde die Zigarettenschachteln ein, die aus dem gesprengten Automaten gefallen sind. Mit der Beute im Wert von 380 Euro flüchten sie. Am kommenden Tag steht das LKA vor der Haustür des 20-Jährigen. Ein Anwohner hatte den Knall gehört und sich das Autokennzeichen notiert. Es folgen eine Hausdurchsuchung und Verhöre. Der junge Mann beteuert, nie wieder etwas anzustellen.

Angeklagter hat schon sechs Vorstrafen auf dem Konto

Kein Jahr später bekommen die LKA-Ermittler einen Tipp, der sie erneut zu dem 20-Jährigen führt. Sie durchsuchen seine Wohnung und werden fündig. 35 Kilo Sprengstoff hat der Schüler wenige Wochen zuvor für mehr als 2000 Euro im Internet geordert. „Ich wollte damit Raketen und Böller für Silvester bauen“, sagt er bei den erneuten Vernehmungen durch die LKA-Beamten. Über die Gefahren, die von dem Material ausgehen, habe er nicht nachgedacht. Im Frühjahr 2014 wird der Oldesloer erneut auffällig. Mit einem Freund fährt er durch Bad Oldesloe, ballert mit einer Schreckschusspistole aus dem Beifahrerfenster eines Autos – und wird erwischt.

„Ihre Mentalität, sich wiederholt über das Gesetz hinwegzusetzen, macht Sorgen“, sagt Richter Thiele. Auch vor den Straftaten mit dem Sprengstoff war der junge Mann mit dem gepflegten Aussehen, der 2016 sein Abi machen will, auffällig. Im Zentralregisterauszug stehen sechs Straftaten: darunter Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs, schwerer Diebstahl und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. „Er zeigt sich nach den Taten auch immer verständig und reflektiert seine Handlungen“, sagt die Jugendgerichtshilfe, „die Wiederholung der Taten ist in dem Zusammenhang bedenklich.“

Gründe dafür nennt seine Verteidigerin: ein Trauma und der fehlende Vater. Dabei bezieht sie sich auf Beurteilungen seines Therapeuten. Seit einer Angststörung, die sich im Alter von 15Jahren manifestierte, ist der Schüler immer wieder in Behandlung gewesen, er habe trotz hoher Intelligenz zweimal das Fachgymnasium abgebrochen – einmal in Folge des Todes seines Vaters. Der psychologische Experte hat auch die Straftaten seines Patienten beurteilt. Nach er der Trennung der Eltern, der Angeklagte war damals drei Jahre alt, habe er durch das Fehlen des Vaters keine Grenzen kennengelernt, sie selber ausgetestet und dabei überschritten. „Ich bin ein Grenzgänger“ , sagt der Oldesloer, der nun wirklich geläutert sein will. Eine letzte Chance, das zu beweisen, hat er bekommen.