Beifall und Pfiffe in politischen Sitzungen: Immer häufiger werden Grenzen überschritten

Bargteheide. Der Fußballtrainer von Bayern München war außer sich. „Was erlauben Strunz?“, fragte Giovanni Trapattoni im März 1998. Es ging ihm um Respekt und das Einhalten von Spielregeln. Beim Blick in die von Protesten aufgeheizte kommunalpolitische Szene in Stormarn drängt sich heute die Frage auf: „Was erlauben sich eigentlich Bürger?“ Ob Asylbewerber-Container in Barsbüttel, Windpark in Bargteheide, Funkturm in Ahrensburg, Bio-Supermarkt in Bad Oldesloe oder Neubaugebiet in Reinbek: Immer wieder kommt es in politischen Gremien zu hitzigen Diskussionen, die von Besuchern mit Zwischenrufen, Beifall und Pfiffen begleitet werden.

Ein besonders krasser Fall war die Bauausschusssitzung vom Mai in Bargteheide. Am Tag danach tauchte im Rathaus bei Bauamtsleiter Jürgen Engfer ein Bürger auf, der sich für verbale Entgleisungen von anderen Windparkgegnern entschuldigte und distanzierte. „Das habe ich noch nie erlebt“, sagt Engfer. „Es ist ein gutes Zeichen.“

Dabei war die Stadt bereits auf die Bürger zugegangen. Die Stadtvertreter beschlossen einstimmig eine neue Geschäftsordnung, die das Rederecht der Bürger ausweitet. Beim Hügel an der Westumgehung (dem Bargteheider Buckel), dem Bau von Sozialwohnungen und dem Bürgerwindpark hatte es heftige Debatten gegeben. „Dem wollten wir Rechnung tragen“, sagt der Büroleitende Beamte Herbert Sczech. Jetzt dürfen die Bürger in der Einwohnerfragestunde zu Beginn der Sitzungen nicht nur Fragen stellen. „Sie können auch Vorschläge machen und Kritik äußern“, sagt Sczech.

Und es gibt noch eine Änderung. So dürfen sich die Bürger auch direkt zu den Tagesordnungspunkten äußern. Sczech: „Vorgesehen sind jeweils zehn Minuten.“ Diese Zeitspanne war bei der besagten Bauausschusssitzung allerdings nicht einmal annähernd eingehalten worden. „Manchmal muss man situationsabhängig entscheiden“, sagt Sczech und deutet Ermessenspielraum an. „Aber natürlich muss man irgendwann zur Beratung überleiten.“ Auch das erfolgte im Bauausschuss nicht. Bauamtsleiter Engfer: „Die eigentliche Auseinandersetzung der Ausschussmitglieder über das Gutachten zum Denkmalschutz fand nicht mehr statt.“

Mitglieder der Initiative Gegenwind hatten sich mit Statements, Unmutsäußerungen und Beifall eingeschaltet und sich einen Schlagabtausch mit dem von der Stadt beauftragten Denkmalschutzexperten Geerd Dahms geliefert, der seinerseits austeilte. Befeuert wurde die Debatte ausgerechnet durch den Stadtvertreter Norbert Muras, der gut 20 Minuten ausholte und dem Denkmalschutzexperten die Fachkompetenz absprach. Muras ist Fraktionsvorsitzender der Wählergemeinschaft (WfB). Er ist zwar keineswegs Mitglied des Bauausschusses, hat aber als Stadtvertreter unbegrenztes Rederecht.

So mutierte die Sitzung zu einem großen Diskussionsclub. Die Ausschussvorsitzende Renate Mascher (WfB) wurde von Kollegen harsch kritisiert. „Ich rate Ihnen dringend, in die Geschäftsordnung zu sehen“, sagte Torsten Frehe (CDU) zu ihr. Peter Anklam (SPD) wunderte sich: „Wie kann das nur angehen?“ Renate Mascher spricht im Rückblick von einer schwierigen Sitzung: „Es schaukelte sich hoch.“ Die Bürger seien aufgebracht gewesen, weil der Gutachter so aggressiv reagiert habe. Allerdings sei er auch angegriffen worden.

Renate Mascher hält die Kritik an ihrem Führungsstil für übertrieben. Es sei ein Kernproblem, wie weit man den Bürgern Gelegenheit geben sollte, sich zu äußern. „In solchen Sitzungen gerät man in Grenzsituationen“, sagt sie.

Der Sprecher der Bürgerinitiative Gegenwind, Hans Pirch, meint allerdings auch, dass die Form der Auseinandersetzung bei der Bauausschusssitzung kein probates Mittel gewesen sei. Pirch: „Aber das war eine Ausnahme.“

Wie viel Bürgerbeteiligung auch immer zulässig ist, am Ende fällt die Entscheidung ohnehin an ganz anderer Stelle. So auch beim Bürgerwindpark. Das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und Ländliche Räume hat alle Unterlagen – und das letzte Wort. Ende August soll das Urteil vorliegen.

„Wir haben größtmögliche Transparenz zugesagt. Wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, dass wir uns auf Regularien berufen und Meinungsäußerungen unterdrücken“, sagt Bauamtsleiter Engfer. Er beschreibt damit den Spagat, der im demokratischen Gefüge gelingen muss. „Die Arbeit der Kommunalpolitiker muss trotz aller Bürgerbeteiligung sichergestellt sein.“