Stadt feiert 700. Geburtstag mit einer Zeitreise: Es geht um Macht, Mut und Mysterien

Bargteheide. Mit dem Mann? „Hab’ ich nichts zu tun“, sagt die Bargteheiderin und wirft keck den Kopf nach hinten. Mit der gestärkten Haube sieht Angelika Schildmeier nicht nur vollkommen anders aus, sondern ihren Mann auch mit anderen Augen an. Ihrem Uwe geht es genauso. Mittelalterlich gewandet, ist er weder der Grafiker noch ihr Ehegespons, sondern der Stadttrommler – und für eine ehrbare Kauffrau mit gestärkter Haube kein Umgang. „Es macht Spaß, in eine andere Rolle zu schlüpfen“, sagt sie. „Wir spielen Indianer auf hohem Niveau“, sagt er so schelmisch, dass man ihn erst gar nicht nach dem Spaß fragen muss.

Den werden auch Tausende von Besuchern haben, wenn sie am Jubiläums-Wochenende durch Bargteheide bummeln. 700 Jahre liegt die erste urkundliche Erwähnung der Stadt zurück. Ein Grund zu feiern und dabei zurückzublicken. So werden sieben mittelalterliche Heerlager mit Feldbetten, Geschirr und Feuerstelle in die Stadt einziehen und auf dem Utspann-Parkplatz Quartier beziehen. Sie werden ihre Zelte aufschlagen, sich Schwertkämpfe liefern, den Schmied beschäftigen, sogar dort nächtigen und längst vergangene Zeiten zum Greifen nah aufleben lassen.

Das spannende Doppelleben eines Bargteheider Ehepaares

Mittendrin: Angelika und Uwe Schildmeier. Seit zehn Jahren haben die beiden eine doppelte Stadt-Bürgerschaft: Sie sind mit Leib und Seele Bargteheider, seit Ewigkeiten hier sesshaft und politisch und sozial engagiert. Und gehören doch zugleich seit einem Jahrzehnt dem Lübecker Hansevolk an, das mit einem mittelalterlichen Tross durch Europa tourt. „Es ist toll. Man kommt rum“, sagt die Bargteheiderin. Sie waren schon in Antwerpen, Venedig und im russischen Nowgorod. „Wann kommt man schon nach Nowgorod“, sagt er. Und jetzt kommt der gewohnte Blick zur Angetrauten.

Ein Konflikt ist dieses Doppelleben nicht. Es ist ein spannendes Hobby und eine Bereicherung. Und das ist es auch bald für ganz Bargteheide und seine Besucher. Bürgermeister Henning Görtz ist begeistert, dass in seinem Völkchen mittelalterlich inspirierte Menschen leben, die den Kontakt zur Szene hergestellt haben. So werden das Hansevolk und sechs Stormarner Vereine für zünftiges Treiben zum Jubiläum sorgen. Selbst der Festakt im Ganztagszentrum soll nicht nur die üblichen Reden bieten, sondern lebendige Historie.

Die schöne, blonde, junge Frau ist das Remake einer Dame von Adel

Eine Dame mit dem Namen Mirizlava wird erscheinen – blond, schön, jung. Ein modernes Remake der holden Frau jenes Grafen Johann, der Bargteheide vor 700 Jahren regierte. Und nicht nur Brektehegel, wie der Ort damals hieß, sondern ganz Stormarn. Da nimmt sich der Machtbereich des jüngst im Amt bestätigten Görtz bescheiden aus. Auch die Art, wie Johann nach oben kam, unterscheidet sich deutlich. Gewählt wurde der Graf jedenfalls nicht, wie die Urkunde belegt.

Am 7. Juni 1314 wurde seine Karriere besiegelt: Graf Gerhard der IV. von Plön überschrieb seinem gerade einmal 14-jährigen Halbbruder Johann dem III. von Plön seinen Herrschaftsanspruch. Normalerweise wurden Halbbrüder im Machtgerangel edler Herrschaften eher unschön beiseite gedrängt. Hier nicht. Warum? „Wenn man das wüsste“, sagt der Mittelalterexperte Günther Bock, der Bargteheide bei der Aufarbeitung der Vergangenheit hilft. „Das ist ein wirklich spannende Geschichte“, sagt der Großhansdorfer. Eine, die ganz Stormarn betrifft.

Sieben Wochen vorher, am 12.April 1314, war in der Nachbarschaft ein anderes Dokument besiegelt worden. Eins, das die Neuverteilung der gesamten Region regelte und die erste urkundliche Erwähnung von Woldenhorn brachte – dem heutigen Ahrensburg.

Mit dieser Neuverteilung war Graf Gerhard mit einem Schlag der starke Mann von ganz Stormarn. Seinen Onkel hatte er besiegt. Sein Vetter war zu jung. Aber warum gab er dann plötzlich seine Macht an den Halbbruder weiter? „Das ist ein echtes Mysterium“, sagt Günther Bock. Zumal Gerhard seine Karriere als möglicher künftiger Bischof abrupt beendet hatte, um die Macht vom Vater zu übernehmen. Bock: „Dass nur Bargteheide in dem Dokument erwähnt wird, obwohl ganz Stormarn betroffen war, zeigt wie wichtig der Ort war.“

Um so kurioser der Machtverzicht jenes Grafen Gerhard, der sich bei der Gelegenheit zugleich seiner Frau entledigte. Der Halbbruder Johann musste die Schwägerin finanziell versorgen und heiratete später deren Schwester: Mirizlava. 1327 avancierte sie zur First Lady des mittelalterlichen Stormarn und wird nun beim Festakt wieder auftauchen. Noch wird sie gesucht, die junge Blonde, die die Rolle übernehmen wird.

Für Angelika Schildmeier kam das nicht in Frage. Das wäre nicht authentisch. Und das muss es beim Hansevolk sein. „Es ist Ehrensache, dass wir unsere Gewänder selbst nähen“, sagt sie. „Die Puristen machen es mit der Hand. Die Vernünftigen mit der Maschine.“ Sie gehört zur zweiten Kategorie.

Eine Woche dauert es trotzdem, bis ein Kleid für die ehrbare Kauffrau fertig ist. Hineingeschlüpft, gibt es der Bargteheidern dieses wunderbare Gefühl, einmal jemand anderes zu sein. Das Gewand abgelegt, ist der Standesdünkel vergessen. „Na klar ist das mein Mann“, heißt es dann mit Blick auf ihren Uwe. „Wir sind seit 44 Jahren glücklich.“