Schüler, Eltern und Lehrer der Gemeinschaftsschule demonstrieren erfolgreich vor der Stadtverordnetenversammlung. Jetzt ist Kiel am Zug

Reinbek. Es gibt Entscheidungen, die wichtiger sind als ein WM-Vorrundenspiel mit deutscher Beteiligung. Das ahnte auch der Jugendliche im DFB-Trikot, der schon während der ersten Halbzeit vor dem Reinbeker Rathaus saß und sich sichtlich darüber ärgerte, dass er nicht Fußball schauen konnte. „Das hier ist blöde gelegt“, nörgelte er und wusste doch, dass er den lästigen Alternativtermin nicht schwänzen durfte, weil es dabei auch um seine Zukunft gehen würde. Auf der Tagesordnung der Stadtvertretung stand die Beschlussvorlage, ob an der Gemeinschaftsschule Reinbek zum Schuljahr 2015/16 eine gymnasiale Oberstufe eingerichtet wird.

Bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Stadtverordnetenversammlung hatte sich vor dem Rathaus ein imposantes Empfangskomitee von etwa 100 Schülern, Eltern und Lehrern versammelt, um den Reinbeker Parlamentariern noch einmal mit Präsenz und Plakaten zu demonstrieren, wie ernst es ihnen mit der G9-Oberstufe vor Ort ist. Obwohl der Sozial- und Schulausschuss sich vor gut drei Wochen knapp dafür ausgesprochen hatte, schien die Bestätigung dieses Beschlusses kein Selbstläufer, weil aus drei Fraktionen Bedenken laut geworden waren.

Die Sorgen der Betroffenen waren berechtigt, denn die Diskussion über die neue Oberstufe läuft schon seit zwei Jahren, und zeitweilig hätte man meinen können, das Ziel sei aus den Augen verloren worden. Es ist noch nicht lange her, dass die Oberstufe nur als Mittelzentrums-Gemeinschaftsprojekt denkbar erschien. Noch im März waren sich die Stadt Reinbek und die Gemeinde Wentorf einig, dass sie gemeinsame Sache machen wollten. Das von beiden Seiten befürwortete Projekt war eine gymnasiale Oberstufe für die Gemeinschaftsschule Reinbek (gut 500 Schüler) und die Regionalschule (ab diesem Sommer Gemeinschaftsschule) Wentorf (etwa 460 Schüler), für die mehrere gute Gründe sprachen – neben der Kostenfrage vor allem, dass jede Schule für sich nicht groß genug für eine eigene gymnasiale Oberstufe wäre. Eine gemeinsame Oberstufe hingegen hätte gute Chancen, vom Bildungsministerium in Kiel genehmigt zu werden.

Doch spätestens als es um die konkrete Gestaltung der Idee ging, war von Gemeinsamkeit kaum noch die Rede. Nachdem Wentorf zunächst eine Fusion der beiden Schulen, die ungefähr vier Kilometer voneinander entfernt liegen, kategorisch abgelehnt hatte, schrieb die stellvertretende Bürgermeisterin Kristin Thode (CDU) per E-Mail eine harsche Absage an den Reinbeker Verwaltungschef, Bürgermeister Axel Bärendorf. Darin hieß es: „Angesichts der Vorgaben in der Diskussionsvorlage sehen wir in Wentorf derzeit keine Möglichkeit der organisatorischen Verbindung der beiden Schulen (Kooperation).“

Sie bezog sich dabei auf ein Konzept des Reinbeker Rektors Frank Lölling vom 7. Mai. Daraufhin beschlossen die Reinbeker Schulexperten einen Monat später, dass ihre Gemeinschaftsschule den Schritt zur G9-Oberstufe zu Not allein wagen sollte – das Kooperationsangebot an die Wentorfer sollte aber aufrechterhalten werden. Doch eine weitere Verzögerung durch einen aufschiebenden Beschluss der Stadtverordneten hätte das sportliche Ziel des Starts 2015/16 stark gefährdet.

Entsprechend besorgt waren alle Betroffenen. „Wir möchten endlich eine G9-Oberstufe in Reinbek haben, damit unsere Kinder fürs Abitur nicht als Fahrschüler nach Barsbüttel, Glinde oder Schwarzenbek wechseln müssen, sondern weiter in Reinbek zur Schule gehen können“, sagte eine Elternvertreterin. „Junge Familien verlangen ein komplettes Schulangebot, damit ihren Kinder von der 5. bis zur 13. Klasse alle Möglichkeiten offenstehen. Wenn Reinbek eine moderne Stadt sein will, muss sie das anbieten“, forderte die Lehrerin Sabine Roim.

Danach sorgten die friedlichen Demonstranten im Sitzungssaal des Rathauses für ein Bild, das Politiker sich gemeinhin wünschen: Viele junge, in der Sache engagierte Menschen im Plenum. In der Debatte der Stadtverordneten war rasch klar, dass die Fraktionen sich darüber einig sind, dass Handlungsbedarf besteht. Tomas Unglaube (SPD), Vorsitzender des Schulausschusses, wies in seiner Begründung des Antrags darauf hin, dass es für Reinbeker Schüler immer schwieriger werde, in den Nachbargemeinden einen Platz für das G9-Abi zu bekommen, weil deren Kapazitäten bereits ausgelastet seien.

Bernd Uwe Rasch von der FDP hatte einen Antrag formuliert, der die Beschlussempfehlung des Schulausschusses leicht modifizierte. Demnach solle der Einrichtung einer Oberstufe an der Gemeinschaftsschule zum Schuljahr 2015/16 zugestimmt werden. An der Kooperation mit Wentorf sei festzuhalten, der Raumbedarf solle in gemeinsamer Abstimmung abgedeckt werden, nicht zuletzt in Hinblick auf ein eigenes Oberstufenprofil in Wentorf. Die pädagogische Konzeption und ein Raumkonzept sollten zeitnah vorgelegt werden, damit der Antrag auf Einrichtung der Oberstufe rasch beim Bildungsministerium in Kiel vorgelegt werden könnte.

Betont wurde außerdem, dass der Beschluss ein deutliches Signal an Wentorf sein müsse und dass Reinbek das finanzielle Risiko von Neubauten nur eingehen dürfe, wenn es keine andere Möglichkeit gebe, zusätzlichen Raumbedarf zu decken.

Die Fraktionen von CDU, FDP und SPD waren im Großen und Ganzen mit dieser Beschlussvorlage einverstanden. Verwaltungschef Axel Bärendorf, der zum letzten Mal als Bürgermeister an einer Stadtverordnetenversammlung teilnahm (sein Nachfolger Björn Warmer übernimmt im September), appellierte an die Politiker: „Es geht bei dieser Grundsatzentscheidung auch um die Zukunftsfähigkeit der Gemeinschaftsschule.“

Der FDP-Antrag wurde mit 24:3-Stimmen angenommen. Jubel der Gäste und lang anhaltender Applaus. „Der Beifall war ja größer als bei der Verkündung des deutschen Siegs“, stellte Bürgervorsteher Ernst Dieter Lohmann zufrieden fest. Keine Frage, dass anwesende Fußballfans ein Tor verpasst, aber trotzdem doppelt gewonnen hatten. Für Schulleitung und Reinbeker Verwaltung ist es ein Arbeitssieg – sie müssen noch vor der Sommerpause einiges vorbereiten, damit der Zeitplan eingehalten werden kann.