Erschreckende Zustände in Krankenhaus: Patienten müssen sogar Pflaster selbst mitbringen. Verein sammelt Spenden

Reinbek. Eine Einkaufsliste hat Alexander Harder zu einem gemacht, der „aktiv Leben retten“ will, wie er sagt. Mithilfe von Kleinigkeiten allerdings, das sagt er auch. Kleinigkeiten wie Pflaster, Wattetupfer und Desinfektionsmittel. Die standen nämlich auf der Liste, die man Harder in einem ukrainischen Krankenhaus in die Hand drückte, in das er seinen Sohn brachte, der sich das Kinn aufgeschlagen hatte.

Auf der Liste standen Kleinigkeiten, die es in dem Krankenhaus in Myrhorod, der Ort aus dem Harders Frau kommt, nicht gibt. Der Patient geht erst einmal selbst einkaufen, dann wird behandelt. Der Reinbeker konnte es nicht glauben und beschloss, gemeinsam mit seiner Frau Yana und der Hamburgerin Neonila Melnyk den Verein Humanitas Ukraine zu gründen. „Wir möchten dazu beitragen, die Situation, gerade für die Patienten, zu entspannen“, sagt Harder. Speziell für Senioren mit geringer Rente sei es eine große Belastung, Krankenutensilien selbst zu kaufen.

Nun sammelt der Verein Spenden, Sachspenden und auch Bargeld, das Harder aber in Mittel für das Krankenhaus investiert, auf Anordnung der Klinikleitung: keine Geldspenden, wegen der Korruption. Ohnehin habe man zunächst eher skeptisch reagiert, als Alexander und Yana Harder darum baten, sich das Krankenhaus ansehen zu dürfen. „Als die Mitarbeiter aber gemerkt haben, dass wir helfen wollen, waren sie sehr aufgeschlossen und haben sich über das Angebot gefreut.“

Neben besagten Kleinigkeiten haben sich die Vereinsmitglieder auch ein großes Projekt vorgenommen. Sie wollen einen der drei laut Harder „hoffnungslos veralteten“ Krankenwagen austauschen. Auslöser dafür war ein trauriges Ereignis: An dem Tag, an dem Yana Harders Großvater starb, wurde er mit dem Krankenwagen in die Klinik transportiert. „Jenseits der Hauptstraßen sind die Wege furchtbar. Er hat den Fahrer darum gebeten, langsamer zu fahren, weil die Fahrt ihm solche Schmerzen bereitete“, sagt Harder. „Es hat mich erschreckt, dass den Patienten so etwas angetan wird. Deswegen wollen wir unbedingt einen Wagen anschaffen, der über ein vernünftiges Bett und eine gute Federung verfügt.“

Der Reinbeker hat bereits mit dem Roten Kreuz gesprochen, bislang ohne konkretes Ergebnis. „Wir sind noch auf der Suche nach einem gebrauchten Krankenwagen, den wir für etwa drei- bis viertausend Euro kaufen können. Hinzu kommen natürlich die Kosten für die Überführung in die Ukraine.“ Um das Geld zusammenzubekommen, hat Humanitas Ukraine für Freitag, 11. Juli, ein Benefizkonzert im Schloss Reinbek organisiert (siehe unten links).

Die Idee, Olesya Salvytska einzuladen, kam Harder, nachdem er mit seiner Frau bei einem Konzert der Musikerin gewesen war. Yana Harder lebt seit 2007 in Deutschland. Seit er seine Frau kennt, fährt Harder ein- bis zweimal im Jahr zum Urlaub in die Ukraine. Auf seinem Jackett trägt der Bestatter eine Anstecknadel, die die deutsche und die ukrainische Flagge zeigt. „Ich habe das Land kennen- und liebengelernt: Leute, Kultur, Klima und Kulinarisches“, sagt Harder. Als Urlaubsland könne er die Ukraine nur empfehlen, zu anderen Zeiten natürlich nur, zu Friedenszeiten.

Nicht zu empfehlen dagegen ein Aufenthalt im Krankenhaus des 250 Kilometer östlich von Kiew gelegenen Myrhorods, vor allem nicht für Schwangere. „Besonders über den Zustand des Kreißsaals war ich erschrocken“, sagt Harder. Heruntergekommene sanitäre Anlagen, Betten, wie sie „in einer Kaserne der 50er-Jahre“ hätten stehen können, und: „Das für Frühchen gedachte Beatmungsgerät ist völlig unpassend, weil es eigentlich für Jugendliche vorgesehen ist. Solche Zustände sind wir aus Deutschland nicht gewöhnt“, sagt der 37-Jährige, der sich an die Geburt seines heute fünf Jahre alten Sohnes Taras erinnert: „Im Krankenhaus wurde versucht, den Aufenthalt für die Patienten so angenehm wie möglich zu gestalten.“

In diesem Sommer wolle er mit seiner Familie nach Myrhorod fahren, um erste Spenden zu übergeben. Ob das klappt, hänge jedoch davon ab, ob es in der Stadt weiterhin ruhig bleibe. In der Zwischenzeit kümmert sich der Reinbeker darum, den Verein bekannter zu machen. „Es ist wichtig, transparent zu arbeiten.“ Er habe schon diverse Spenden erhalten, von Privatpersonen, aber auch vom Roten Kreuz und anderen Einrichtungen. „Erst einmal konzentrieren wir uns auf die Klinik, langfristig können wir uns auch vorstellen, etwa Schulen, Kitas und andere soziale Einrichtungen miteinzubeziehen.“

Einen Monat nach Gründung des Vereins, spricht Harder über die Vorzüge der Vereinsarbeit: „Für mich ist diese Art von Engagement wirklich etwas ganz Neues“, sagt er. Aber es bringe Spaß, Gutes zu tun. Kleinigkeiten eben.