Abendblatt-Umfrage nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes. Viele Radfahrer tragen den Kopfschutz aus Vernunft

Ahrensburg. So hitzig die Debatte über Helmpflicht für Fahrradfahrer seit Langem geführt wird, so deutlich zeigt sich bei einer Fahrt durch Stormarn, dass nur sehr wenige Radfahrer ihren Kopf tatsächlich schützen. 89 Prozent sind offiziellen Statistiken zufolge ohne Helm unterwegs. Dass das weiterhin ihr gutes Recht ist, hat in der vergangenen Woche der Bundesgerichtshof entschieden, indem er ein Urteil aufhob, nach dem eine Fahrradfahrerin eine Mitschuld an einem Unfall tragen sollte. Sie trug keinen Helm und wurde verletzt.

Reiner Hinsch, Vorsitzender des Kreisverbandes Stormarn des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), sagt, er begrüße das Urteil der Richter sehr. „Ich hatte diese Entscheidung erwartet, denn es kann nicht sein, dass man als Radfahrer unverschuldet in einen Unfall verwickelt wird und dann verantwortlich gemacht wird“, sagt Hinsch, der den ADFC-Kreisverband im Jahr 2003 gründete. Mittlerweile zählt dieser rund 1000 Mitglieder. „Bei unseren Ausflugsfahrten beobachten wir, dass zunehmend mehr Menschen einen Helm aufsetzen. Das Thema Frisur verliert dabei an Bedeutung“, sagt Hinsch.

Auch Marlene Stahmer fährt immer mit Helm Fahrrad. „Meine Kinder haben mir vor zwei Jahren einen neuen Helm geschenkt. Ich hatte schon länger einen, der war aber kaputt“, sagt die Ahrensburgerin, die viel Fahrrad fährt. „Früher bin ich mit meinem Mann jedes Jahr zwei- bis dreitausend Kilometer gefahren“, sagt Stahmer.

Bericht über einen schwer verletzten Radfahrer führte zum Umdenken

Wie die 77-Jährige sind es hauptsächlich die Vielfahrer, die entscheiden, sich mit einem Helm zu schützen. Auch ADFC-Kreischef Hinsch sagt, er selbst trage fast immer einen Helm. „Wir empfehlen das natürlich. Gerade auch für Radfahrer, die mit einem Elektrofahrrad unterwegs sind. Die können ganz schön flott werden.“

Den Vorschlag des Ärztepräsidenten Frank Ulrich Montgomery, der eine Helmpflicht einführen möchte, lehnt der 51-Jährige jedoch ab. „Das schadet eher. Eine solche Pflicht würde viele Menschen davon abhalten, überhaupt Rad zu fahren.“

Diese Meinung ist verbreitet unter Stormarner Fahrradfahrern: „Jeder sollte selbst entscheiden, ob er einen Helm tragen möchte“, sagt etwa Gerd-Uwe Schröder, der mit seinem Fahrrad in der Ahrensburger Innenstadt unterwegs ist. Er selbst habe sich vor rund zwei Jahren dafür entschieden. „In der Stormarn-Ausgabe des Abendblattes wurde über einen Unfall berichtet, bei dem ein Fahrradfahrer schwer verletzt wurde. Das hat meine Frau und mich berührt und uns sehr zu denken gegeben“, sagt der 73-Jährige, der seitdem einen im Geschäft eigens auf seine Kopfform angepassten Helm trägt.

Schröder gehört damit zu einer Gruppe von Menschen, deren Verhalten auch der ADFC-Vorsitzende Reiner Hinsch anspricht: „Immer mehr ältere Radfahrer, die in ihrer Jugend keinen Helm getragen haben, entscheiden sich jetzt doch dazu. Für die jüngere Generation ist das dagegen viel normaler.“

Für Marlene Stahmer ist auch das ein Grund, Helm zu tragen. „Ich sehe mich da in der Vorbildfunktion: Es kann nicht sein, dass Kinder Fahrradhelme tragen sollen und wir Älteren da nicht mitziehen.“

Der Brunsbeker Armin Lühr sagt, er bewundere Kinder und junge Leute, die immer einen Helm tragen. Der 77-Jährige gehört zu den wenigen seiner Generation, die schon lange mit Helm Fahrrad fahren. „In meinem Umfeld ist das nicht so verbreitet. Meine Frau etwa trägt nicht so gern einen Fahrradhelm“, sagt Lühr, der seit rund 20 Jahren mit Helm fährt. „In Stapelfeld bin ich auf dem Radweg mal von einem Auto angefahren worden, das aus einer Ausfahrt kam. So hatte ich nur eine Schramme am Kopf, ohne den Schutz hätte Schlimmeres passieren können.“

Eine Helmpflicht kommt für ihn dennoch nicht infrage: „Die Freiheit sollte man den Menschen schon lassen“, sagt Lühr, der häufig von Brunsbek nach Ahrensburg fährt, um seine Familie zu besuchen. Auch längere Fahrten macht er gern. Der Tacho an seinem Lenker zeigt rund 3300 gefahrene Kilometer an, ungefähr sein Jahrespensum. Vor allem auf Straßen, die von Autos befahren werden, ist der 77-Jährige immer mit Helm unterwegs. „Fällt man auf den Kopf, muss man sich sonst hinterher Vorwürfe machen, dass man keinen getragen hat.“

Auch Gerd-Uwe Schröder hat letztlich die Sorge um seine Gesundheit zum Fahrradhelm gebracht: „Der Kopf ist das Wichtigste, das es zu schützen gibt“, sagt der Ahrensburger, der mit seiner Frau häufig Radtouren in die Umgebung unternimmt, zuletzt war es eine Tour nach Tremsbüttel. „Vor allem aber merken wir, dass es in der Stadt gefährlich werden kann. Die Wege sind teilweise viel zu schmal.“

Die Stadt Ahrensburg will dagegen bald Abhilfe schaffen. 100.000 Euro sind im Haushalt eingeplant, mit denen elf Streckenabschnitte des Fahrradwegenetzes ausgebessert werden sollen. Der Wander- und Radweg Katzenbuckel zwischen der Richard-Dehmel-Straße und der Selma-Lagerlöf-Schule profitiert von diesen Mitteln bereits: Er wird derzeit auf einer Länge von 800 Metern verbreitert und erhält einen neuen Belag.