Serie „Bank-Geheimnisse“ Das Abendblatt trifft Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Heute: Maren Holst-Jürgensen

Hoisdorf. Montags fährt sie weg. Raus aus Hoisdorf. Dabei ist es so schön hier. Himmelblaue Wolken ziehen über die grüne Flur. Vögel zwitschern. Und hinter ihrem alten Hof weiden Schafe. Dorfidylle pur. „Ich muss einfach mal raus. Ich muss mich ausprobieren“, sagt Maren Holst-Jürgensen und schaut einen so an, dass sofort klar wird: Diese Frau braucht Freiraum. „Ich fahre nach Lübeck. Zu einer Gruppe, in der mich keiner kennt“, sagt sie und schiebt mit trotzköpfigem Charme hinterher: „Ich will einfach nicht immer diese doofe 150-Prozent-Frau sein.“

Das ist es also. Der Anspruch drückt sie. Der Anspruch, immer alles perfekt zu machen. Und sie macht viel – und perfekt: Maren Holst-Jürgensen ist promovierte Kunsthistorikerin, Galeristin und Konzertveranstalterin. Sie führt bei Bedarf ein Hotel für reisende Künstler. Sie macht aus ihrem ländlichen Anwesen an der Oetjendorfer Landstraße wenn nötig auch ein Restaurant oder eine Kneipe. „Wir haben so was im Dorf ja nicht mehr. Also mach ich’s doch selbst“, sagt sie, als wenn es das Selbstverständlichste der Welt wäre. Und das ist es für sie auch.

So wartet die Galeristin auch nicht auf Bewerber, sondern macht sich selbst auf die Suche. „Eine Mappe einzureichen, bringt bei mir nichts“, sagt sie. „Ich fahre herum, suche mir die Künstler selbst aus“, sagt die Frau, die handverlesene Werke zeigt, ebenso exquisite Musiker der Philharmonie präsentiert und den Künstlern obendrein frei Kost und Logis bietet und abends einen Wein kredenzt. Alles fein und liebevoll und mit diesem verdammt hohen Anspruch, der auch zermürben kann.

„Am schlimmsten ist das Lampenfieber“, sagt sie. Es kriecht hoch, wenn ihre Galerie mal wieder rappelvoll ist und sich alle darauf freuen, eine ihrer glanzvollen Einführungen zu hören. Sie ist stets bestens vorbereitet. „Ich könnte frei sprechen“, sagt sie, aber sie traut sich nicht – die 150-Prozent-Frau. Sie könnte ja einen Fehler machen.

Vor zwei Jahren ist sie deshalb unter die Schauspieler gegangen. Immer montags in Lübeck. „Wir improvisieren und stellen Gefühle dar“, sagt die Hoisdorferin. Wir, das sind Frauen, die voneinander nur den Vornamen kennen. Und genau das will Maren Holst-Jürgensen. In der Schauspieltruppe ist sie unbekannt. Hier kann sie die 150 Prozent und das Lampenfieber vergessen. „Am Anfang waren auch noch Männer dabei. Aber das wird nichts mehr“, sagt die Galeristin keck. „Ein Mann würde sich nicht wohl fühlen.“

Sie fühlt sich hier pudelwohl. Sie kann den Clown geben oder die Putzfrau, die ganz verdutzt feststellt, dass da Publikum sitzt und auf etwas wartet. Aber das ist nicht ihre Galerie. Das ist nur Spaß. Meistens. „Einmal hat es nicht so gut geklappt. Da hat die Leiterin zu mir gesagt: Du musst hier nicht 150 Prozent geben“.

Angefangen hat es vor 15 Jahren. Ganz klein. Maren Holst-Jürgensen ließ Schilder am Wegesrand aufstellen, um den Besuchern den Weg zu ihrem versteckt liegenden Hof zu weisen. Hier wollte sie Bilder ausstellen und besonders die junge Garde aus den neuen Bundesländern, aus Dresden und Leipzig, nach vorne bringen. Sie wollte Musik zu den Vernissagen bieten und zum Abschluss veritable Galerie-Konzerte. Alles ist so eingetroffen, wie sie es sich gewünscht und wofür sie hart gearbeitet hat. All das und noch viel mehr. Besucher, die bislang nur naturalistische Bilder liebten, entdeckten den Reiz abstrakter Arbeiten und kauften in Hoisdorf, weitab von den kulturellen Metropolen, zum ersten Mal in ihrem Leben zeitgenössische Kunst. Benefizkonzerte zugunsten der Fukushima-Opfer haben die Menschen spendabel gemacht. Aber das Allerschönste, das selbst das allerschlimmste Lampenfieber mehr als aufwiegt, ist nicht mit Geld zu bezahlen. „Viele Besucher kommen wieder. So sind Freundschaften entstanden“, sagt Maren Holst-Jürgensen. „Der Anlass dafür zu sein, dass Menschen sich finden, ist beglückend.“ Und so wie sie die Besucher zusammenbringt, bringt sie Bildhauer, Malern und Musiker zusammen. „Das ist meine Lebensaufgabe.“

Die Schilder sind so gut wie überflüssig geworden. Der Kulturtreff auf dem Lande, den die Hausherrin schlicht Galerie Jürgensen genannt hat, hat sich einen exzellenten Ruf erworben. Zu den Dresdnern und Leipzigern gesellen sich jetzt Künstler aus Spanien, der Schweiz, aus den Benelux-Ländern, aus Polen, Japan, Litauen und Amerika. Besucher kommen aus ganz Stormarn hierher, aus Hamburg, Lüneburg und Rendsburg, selbst aus Kiel und Schleswig. Der Norden reist an, um dabei zu sein, wenn Maren Holst-Jürgensen empfängt. Die Menschen sitzen auf Bundeswehrstühlen, um im Angesicht weidender Schafe Vorträgen und Musik zu lauschen und Bilder von Künstlern zu kaufen, deren Namen sie meist noch nie gehört haben.

In 15 Jahren gab es Durststrecken. Aber bis jetzt ist alles gut gegangen. „Es ist mein Ehrgeiz, dass sich die Galerie wenigsten selbst trägt.“ Die 130 Bundeswehrstühle für die Galerie sind ein gutes Beispiel. „Wir wussten nicht, wie es laufen würde. Also haben wir alles schlicht gehalten.“ Die Stühle aus einer aufgegebenen Kaserne waren ein Schnäppchen. Zwei Euro das Stück. Aber ein bisschen Farbe konnten sie gebrauchen. „Am Schluss haben sie dann doch 30 Euro gekostet.“ Dafür passen die Stühle mit dem edlen Grau wunderbar in den Galerieraum, der früher als Lager für Kerzen diente.

Und hier kommt nun doch ein Mann ins Spiel – der Mann der Galeristin. Er hatte den Hof vor 40 Jahren erworben und für seine Kerzen-Manufaktur einen Lagerraum angebaut. „Mein Mann hat den Raum wunderschön umgebaut“, sagt Holst-Jürgensen. „Sehen Sie, da oben. Er hat gerade für Oberlicht gesorgt.“ Als ihr Helmut nach Hoisdorf kam, war er 35 Jahre alt. 40 Jahre ist das her. Macht zusammen 75. Und die Galerie feiert ihren 15. Geburtstag. Bei so viel runden Zahlen musste ein Jubiläumskonzert her.

Ausverkauft. 130 kamen. Nur die Dorfbewohner haben sich in der Galerie noch nie blicken lassen. „Aber die Bauern stellen ihre Flächen als Parkplätze zur Verfügung. Und sie sind sehr stolz auf die Galerie im Dorf“, sagt die Frau, die mit ihrem Lächeln ein Stück ihrer Seele offenbart. Am Montag fährt sie wieder weg. Raus aus Hoisdorf, um einmal nicht, die 150-Prozent-Frau zu sein.