Es ging um Mackie Messer. Mehr weiß ich nicht mehr. Und mehr wusste ich auch damals nicht, in der sechsten Schulstunde, so um halb eins an einem Mittwochmittag im März 1981.

Deutschlehrer Jürgen Müller hatte eine einfache Frage zu dem Text von Bertolt Brecht gestellt – und meinen Namen genannt. Das hatte ich gerade noch mitbekommen, denn ich war kurz vor dem Wegnicken. „Harald, warum antworten Sie nicht? Das haben wir doch gerade gestern durchgenommen!“ Fassungslos sah mich der Lehrer an. „Weiß ich nicht“ war alles, was ich sagen konnte. Zweimal hakte Müller noch nach, dann gab er auf und ließ mich den Rest der Stunde mit der Interpretation von Bänkelliedern in Ruhe. Vergessen hatte er den Aussetzer natürlich nicht: Die nächste Deutsch-Doppelstunde verlief zum großen Teil im Dialog zwischen uns, und diesmal hatte ich viele ausgeschlafene Antworten parat.

Denn dass ich so müde war, lag weder an Brechts Versen noch an Müllers Unterricht. Ich hatte zuvor von elf bis sieben Uhr während der Nachtschicht in der Springer-Druckerei „Hörzu“-Pakete auf Paletten gestapelt. Frisch geduscht ging es direkt zur Schule. Die ersten drei Stunden vergingen wie im Flug, nicht zuletzt wegen der Freude über ein prall gefülltes Portemonnaie. Denn der Lohn wurde damals am Ende jeder Schicht in einer Tüte direkt ausgezahlt. Doch ab 11 Uhr wurde jede Minute zur Qual, mir fielen die Augen zu. Jürgen Müller nahm’s mit Humor und mich bei nächster Gelegenheit dauernd dran. Diese Kombination von Freiheit und Grenzen galt auch für Klassen- und Studienfahrten. Nachts durften wir den Zapfenstreich schon mal ein bisschen ausdehnen, wenn wir morgens früh zum Joggen mit Herrn Müller vor der Tür standen. Das war so in der siebten Klasse auf Sylt und auch in der elften in Berlin. Wie aktuelle Schüler berichten, hält der Dauerläufer an dieser Tradition immer noch fest.